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Theologie, wie sie leibt und lebt

Neue Wege muss sie einschlagen, die Theologie. Endlich. So das leidenschaftliche Plädoyer von Klaas Huizing in seinem Gastbeitrag. Er befürwortet eine erfahrungsreiche Theologie der Leiblichkeit. Zugang zur Transzendenz geschieht über leibliche Betroffenheit, so sein Ansatz. Und diese wurzelt in einer genussfreundlichen Theologie und geht mit der Vokabel “Sünde” sehr sparsam um.

 

Von Klaas Huizing

Um die Bodensichtkontrolle nicht zu verlieren, um lebensweltlich anschlussfähig zu bleiben, um auch universitär nicht in die Rand- und Einsiedelei abgedrängt zu werden, zeichnet die Systematische Theologie gerne Lehngeschäfte aus ihrer ältesten Nachbarwissenschaft: der Philosophie. Inzwischen ist sie resonanzoffen auch für Importe aus anderen Disziplinen wie der Soziologie oder Psychologie. Gelegentlich wirkt es, als würden sehr heterogene Importe im Thermomix verarbeitet. Elegant, ohne zu stottern, verlaufen die Lehngeschäfte, wenn avancierte philosophische Modelle dabei helfen, verwahrloste Themenbestände der Theologie zu renovieren und ins Licht zu rücken. Ein Buffet neuer Möglichkeiten präsentiert sich dann, wenn es etwa gelingt, gegenwartskompetente Zugänge zur Transzendenz verfeinert durch neue Theoriesonden zu ermöglichen. Wo ist der Anknüpfungspunkt für Zugänge zum Heiligen oder Göttlichen, bitteschön? Die Antwort ist verblüffend einfach: Es ist der Leib, genauer: der spürende Leib. Um den lange vergessenen Leib erneut zum Sprechen zu bringen, ist Import aus der Philosophie nötig.

Der spürende Leib, so der Mastermind der Leibphänomenologie, Hermann Schmitz, ist der Urresonanzraum von affektiver Betroffenheit. Von dieser Urintention aus hat der letztes Jahr verstorbene Schmitz (1928-2021) ein mächtiges System der Philosophie entworfen, das nachhaltige Gesprächsangebote an die Theologie offeriert. Der Philosoph Schmitz kennt keine Kontaktallergie mit der Theologie, denn seine Arbeiten zum Heiligen stehen in der Tradition von Rudolf Otto (1869-1937), der einen Bestseller zum Thema geschrieben hat: Das Heilige. Die Erfahrung des Heiligen ist durch zwei Gefühlsqualitäten gleichermaßen ausgezeichnet: durch das Erschrecken und die Faszination (Otto), durch ein Leib-Gefühl der Enge und Weite (Schmitz). Jeder, der einmal in nächster Nähe einen gigantischen Wasserfall erlebt hat, kennt diese zwei verschränkten Gefühlsqualitäten. Nicht nur ästhetisch, sondern religiös ist diese Natur-Erfahrung dann, wenn man sie im Rahmen eines religiösen Weltgefühls deutet und Dank an eine Instanz adressieren kann, die größer ist als wir. Schöpfung ist jenes leiblich grundierte Weltgefühl, das die Welt als mit Sinn und Ziel versehen deutet. Die Evolutionstheorie kennt dagegen keine Zielbestimmung.

Eine Philosophie, die vom Leib ausgeht

Philosophie bestimmt Schmitz als leiblich grundiertes Sichbesinnen des Menschen auf sein Sichfinden in seiner Umgebung. Diese vom Leib ausgehende Philosophie, die, wie gesehen, auch religiöse Themenbestände näher an die Lebenswelt heranrückt, bietet sich an, sie mit jener eng verwandten lebensweltkundigen Strömung im Alten und Neuen Testament zu verschränken und ins Gespräch zu bringen, die unter dem Stichwort Weisheitstheologie firmiert und erst relativ spät bei den Exegeten Karriere machte.

Der neue akademische Lebensschwung, der sich aus der Verschränkung von Leibphänomenologie und biblischer Weisheitstheologie ergeben kann, lässt sich knapp am Beispiel der Schöpfungstheologie skizzieren, um deutlich zu machen, welches Welt- und Lebensgefühl sich durch die erzählten Geschichten ausbildet. Als nachhaltig bekannt dürfen die zwei Schöpfungserzählungen aus 1. Mose 1 und 1. Mose 2 gelten, daneben etwa der Schöpfungspsalm 104. Selten dagegen ist im alten Betriebssystem die (späte) weisheitliche Schöpfungsnarration aus Proverbien 8 (Sprüche Salomos) gespeichert worden. Der Alttestamentler Bernd Schipper verortet in seinem großen biblischen Kommentar diesen Text als Gen 0,0. Die mythologische Narration geht so: Gott webt ein Gegenüber, die (Frau) Weisheit, die auf dem Erdenrund spielt und tanzt und Gott zur Schöpfung animiert. Diese Narration ruft ein ganz eigentümliches religiöses Weltgefühl (= Schöpfung) auf, jetzt ruht (anders als in den bekannten Schöpfungserzählungen) die Schöpfung auf Eros, Spiel und Tanz, steht für Kreativität, Lebendigkeit und Entwicklungsfähigkeit. Ein Beziehungs-geschehen gibt es also bereits, so die Pointe, vor der Schöpfung zwischen Gott und der Frau Weisheit. Wen also hat Gott in Michelangelos Gemälde “Die Erschaffung Adams” im Arm?

Gleichnisse, die die Welt zum Tanzen bringen

Proverbien 8 feiert die Kreativität und geht von Bildern der Anmut aus, die starke emotive Kräfte aussenden, diese Anmut der Welt zu bewahren. Dieses genussreiche Lebensgefühl, das sich von einer Sündenverdrießlichkeit freihält, kann in Kunstwerken und kreativen Schüben einwohnen oder sich personal inkarnieren, etwa in den großen Gestalten der Geschichte in Vergangenheit und Gegenwart. Das Christentum deutet Jesus Christus als außerordentliche Verleiblichung des Heiligen. Seine in den biblischen Geschichten vor Augen gemalte Gestalt präsentiert einen Lebensentwurf, der durch Statusverzicht und uneigennützige Hilfe und zugleich durch eine feiertüchtige Lebensfreude ausgezeichnet ist. Dieser Weisheitslehrer erzählt verspielte Gleichnisse, die die Welt zum Tanzen bringen. Sie inszenieren ein Angebot, sich mit diesem Lebensstil und dieser Lebensrichtung spielerisch zu identifizieren, um das christliche Lebensgefühl leiblich hautnah zu erfahren. Das Ergebnis: eine lebensweltsensible und erfahrungssatte Theologie, wie sie leibt und lebt. Der Leib also dient als Anknüpfungspunkt für religiöse Erfahrungen, für Erfahrungen des Heiligen. Um den Leib zum Sprechen zu bringen, empfiehlt es sich, beim Leibphilosophen Hermann Schmitz einige Grundkurse zu belegen.

 

 

Zum Autor:
Prof. Dr. Dr. Klaas Huizing, ist Professor für Systematische Theologie und Gegenwartsfragen an der Universität Würzburg und Verfasser zahlreicher Romane. Im Gütersloher Verlagshaus ist gerade sein Band „Lebenslehre. Eine Theologie für das 21. Jahrhundert“ (776 S., 38 Euro) erschienen.

 

Hinweis:
Klaas Huizing ist zu Gast auf unserer Tagung “Evangelische Kirche – wohin?”, die vom 9.-11. Dezember an der Evangelischen Akademie Tutzing stattfindet. Sein Vortrag steht unter dem Titel “Lebenslehre – Eine Theologie für das 21. Jahrhundert”.

Infos zu Programm und Anmeldemodalitäten finden Sie hier.

Dieser Beitrag ist zugleich die Gastkolumne im Dezember-Newsletter der Evangelischen Akademie Tutzing. Mehr dazu hier.

 

Foto: Tanzende Jugendliche auf dem Jugendkirchentag in Gernsheim im Sommer 2022 (Foto: © Peter Bongard / fundus-medien.de)

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2 Kommentare

  1. Franziska Lüttich says:

    Ich hätte den Beitrag ja gern zu Ende gelesen, immerhin klang die Überschrift interessant. Aber im Text habe ich unterwegs aufgegeben, denn ich liebe klare Worte und verständliche Texte. Aber wenn da so ein Satz kommt: “Die mythologische Narration geht so: Gott webt ein Gegenüber, die (Frau) Weisheit, die auf dem Erdenrund spielt und tanzt und Gott zur Schöpfung animiert. Diese Narration ruft ein ganz eigentümliches religiöses Weltgefühl (= Schöpfung) auf, jetzt ruht (anders als in den bekannten Schöpfungserzählungen) die Schöpfung auf Eros, Spiel und Tanz, steht für Kreativität, Lebendigkeit und Entwicklungsfähigkeit.” kommt, dann ist bei mir aus. Zwei Sätze mit 24 + 30 Worten, das widierspricht jedem Grundsatz für verständliche Texte. Wenn die Theologie den Menschen wieder erreichen soll, dann ist verständliches Deutsch die Basis. Verschwurbelt hatten wir schon zu lang. Wie wäre es mit dem einfachen Satz von Lessing: “Schreibe wie Du redest, so schreibst du schön”.

    Bei solchen Texten wie von Klaas Huizing denke ich sofort an Wolf Schneiders Satz “Einer muss sich Mühe geben: der Leser oder der Redakteur”. Da Huizing etwas vermitteln will sollte er sich Mühe gegeben, verstanden zu werden. Schlau klingen allein reicht leider nicht.

  2. Isolde Kohler-Kress says:

    Lieber Veranstalter,
    Ihr Gastreferent scheint mit seiner neuen Theologie bildungsgerne Bevölkerungsschichten und damit die Aermeren in unserer Gesellschaft nicht zu meinen. Ich selbst bin Mitglied der Kirche und Sozialwissenschaftlerin und verstehe obigen Text nur mit groesster Muehe.Die absolute Kopflastigkeit tut ihr Uebriges dazu. Mit Verlaub, ich bin entsetzt.
    Mit freundlichen Grüßen
    Isolde Kohler-Kress

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