Himmel & Erde

Die Kraft des Glaubens: Unfassbares fassbar machen

Werden wir die Corona-Krise meistern? Diese Frage beschäftigt uns alle. Sie berührt zwei unterschiedliche Ebenen, schreibt Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing. Damit meint er: eine, die sich vor unseren Augen abspielt und eine, die sich nur vor dem inneren Auge ereignet. Wie lässt sich diese Widersprüchlichkeit aushalten?

Werden wir die Corona-Krise meistern? Das ist aktuell die Frage aller Fragen. Der Psychiater und katholische Theologe Manfred Lütz antwortete darauf am 23. März in der „Rheinischen Post“: „Uns bleibt ja gar nichts anderes übrig, aber wir sind dazu auch in der Lage.“ Und er fügte hinzu: „Der Mensch kann Enormes verkraften, allerdings heißt das natürlich nicht, dass es leicht wird.“ Lütz beschreibt damit ganz gut die Stimmung, in der sich unser Land befindet – als Teil einer weltweiten Schicksalsgemeinschaft, zwischen Angst und Hoffnung.

Die Herausforderung, die es zu bestehen gilt, berührt zwei unterschiedliche Ebenen. Die eine spielt sich vor unseren Augen ab: Mehr denn je versuchen Ärztinnen und Ärzte, Leben zu retten, Pflegekräfte all jene zu versorgen, die Betreuung brauchen, und das Personal in den Supermärkten den Leerstand in den Regalen zu verhindern. Auf der anderen Ebene – nur vor dem inneren Auge sichtbar – ringt jeder und jede damit, den Widerspruch zwischen der vermeintlichen Bedrohung und der in diesen Frühlingstagen aufbrechenden Natur aufzulösen.

Diese Widersprüchlichkeit – Ambivalenz, aus dem Lateinischen übersetzt „beides gilt“, ist kaum auszuhalten. Und es ist wenig tröstlich, dass dies schon immer so war. Soziologen und Philosophen sprechen in diesem Zusammenhang von Kontingenz: der Möglichkeit und – wenig beruhigend – der Zufälligkeit der Ereignisse. Was möglich ist, kann auch geschehen.

Diese Erfahrung steht erst recht quer zum Selbstverständnis des Homo Faber, des Menschen, der sich als Macher sieht und oft so inszeniert. Und dies, obwohl das Gelingen – wenn wir ehrlich sind – immer wieder an Faktoren hängt, die bei näherem Hinsehen gar nicht beeinflusst werden können.

Gibt es in so einer Situation überhaupt etwas, das tröstet bzw. trösten könnte? Der Glaube ist eine Kraft, die Menschen in schier aussichtlosen Situationen helfen kann. Ganz allgemein gesprochen: Religion ist die Ressource, Unfassbares fassbar zu machen. Sie dient seit jeher als Instrument zur Kontingenzbewältigung – von Ereignissen, die der Einzelne weder beeinflussen noch abwehren kann, sondern schlicht hinnehmen muss. Von Bewältigung zu reden ist allerdings sehr anspruchsvoll, wenn man bedenkt, dass sich solches Geschehen ebenso wenig wie die Vergangenheit „bewältigen“ lässt. Aber es stimmt schon: Religion ist, soweit das kollektive Gedächtnis reicht, die Art und Weise, wie Menschen mit Kontingenzerfahrungen umgehen: dass es trotz aller Krisen und Katastrophen berechtigte Zuversicht und Hoffnung gibt.

Einer der biblischen Schlüsseltexte, die diese Haltung ausstrahlen, findet sich im Alten Testament: „Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohlmachen“ (Psalm 37,5). Der evangelische Liederdichter Paul Gerhardt (1607-1676) hat vor dem Hintergrund dieses Bibelwortes seine Glaubenszuversicht in zwölf Strophen ausgebreitet („Befiehl du deine Wege“, EG 361). Wie überhaupt die Psalmen nicht nur keine heile Welt vorgaukeln, sondern den Riss, der durch Natur und Gesellschaft geht, schonungslos beschreiben und Menschen nicht verstummen.

Von dieser Kraft des Glaubens hat Bundespräsident Joachim Gauck 2017 in der Evangelischen Akademie Tutzing gesprochen: „Es wäre eindimensional und auch lebensfremd, würden wir die Potenziale all der Menschen, die vom christlichen Glauben geprägt worden sind, nicht einbeziehen in die Lebensprozesse einer Gesellschaft. Wir wissen um die größere Hoffnung und die größere Hingabe, die glaubende Menschen in die Welt gebracht haben… Denn im Vertrauen auf Gott haben Menschen ihre Potenziale erweitern können. Sagen wir es einmal in ganz traditioneller Sprache: Mag der Schöpfergott sich auch unserem Verstehen entziehen, so bleiben doch die, die auf ihn bezogen sind, Gesegnete, Bestärkte, Ermächtigte.“

Religion – der Glaube – als Selbstermächtigung. Das bringen die Lieder Paul Gerhardts Strophe für Strophe zum Ausdruck. Sein Leben war geprägt vom Schrecken des Dreißigjährigen Krieges, vom Tod vieler seiner Kinder und auch seiner Frau. In dem erwähnten Lied dichtete er in der 7. Strophe: „Auf, gib deinem Schmerze und Sorgen gute Nacht, lass fahren, was das Herze betrübt und traurig macht; bist du doch nicht Regente, der alles führen soll, Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl.“ Sich mit dieser Ohnmacht, selbst nichts ausrichten zu können, trotzdem im Glauben geborgen zu wissen und fröhlich-zuversichtlich zu sein, ist eine Erfahrung, die nicht auf Rezept verordnet werden kann. Wer zu ihr einen Zugang findet, dem eröffnet sie eine Perspektive.

Glaubensperspektiven in schier aussichtloser Zeit zu entwickeln, das war – so könnte man sagen – Dietrich Bonhoeffers besondere Begabung. Vor 75 Jahren, am 9. April 1945, wurde der evangelische Theologe im KZ Flossenbürg ermordet. 1943 hat er im Gefängnis notiert: „Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandkraft geben will, wie wir brauchen.“ Das ist eine Aussage, die sich nicht am Schreibtisch eines Gelehrten oder im Hörsaal der Universität formulieren lässt. Bonhoeffer hält eine Glaubenserfahrung fest. Im Gesamtzusammenhang schreibt er: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandkraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten. Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“

Bonhoeffer zeichnete ein ausgeprägter Realitätssinn aus. Früh hatte er den wahren Charakter der Diktatur des Nationalsozialismus erkannt. In dem oben zitierten Text beschreibt er eine/seine Hoffnung: „In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“ Neben den Krisen, von denen die Welt ohnehin geplagt wird, liegt darin wohl die größte Herausforderung: zu glauben gegen allen Augenschein.

Der Autor ist Pfarrer und leitet die Evangelische Akademie Tutzing.

 

Bild: Udo Hahn (Foto: Haist/eat archiv)

 

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12 Kommentare

  1. Heidi Maisel7 says:

    Danke, hat mir gut getan, das zu lesen.
    Werde ich weiterempfehlen,

  2. Joseph Kuhn says:

    Die Frage, “werden wir die Corona-Krise meistern?”, kann man, wenn es nur um das Überleben geht, als Gesellschaft sicher mit “ja” beantworten. Diese Antwort gilt aber nicht für jeden Einzelnen. Dass das kollektive “ja” nicht kaltschnäuzig die individuelle Not übertönt, z.B. in utilitaristischen Bewertungen, dass man doch besser ein paar alte Menschen sterben lassen solle als die Gewinnerwartungen der Wirtschaft, ist auch für das Miteinander nach der Krise wichtig, also für die Frage, ob wir die Krise menschlich meistern.

  3. Christa Konnertz says:

    Sehr geehrter Herr Hahn,

    auf meinem Schreibtisch liegt ein Zettel, darauf steht :
    “Gott kommt nicht, wenn wir es wünschen, aber er kommt rechtzeitig”.
    Diesmal in den von Ihnen geschriebenen Worten, danke dafür!

    Mein Betrag, Lyrik und Prosa, die seit vielen Jahren mein Leben bereichert und prägt, hier mit Zeilen von Hilde Domin :

    “Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise, wie einem Vogel, die Hand hinhalten.”

    Herzlich Christa Konnertz

    • Hans-Ulrich Kalinke says:

      Domin:
      Heißt für mich, nicht auf ein Wunder zu warten, sondern aktiv zu sein – hier die Hand hinhalten – also die Chancen
      nutzen, vielleicht auch mal die Chancen suchen.
      Danke Frau Konnertz für Ihre Zeilen

  4. Wolfram Eckloff says:

    Ich danke für diesen schönen Beitrag, der sicher in vielen Menschen die Hoffnung stärkt, die im Glauben stehen.
    Doch ich glaube, es geht in der Tiefe noch um etwas Grundsätzlicheres, das für Gläubige wie für Atheisten gleichermaßen gilt: die Ausbildung eines Urvertrauens, das maßgeblich in der frühen Kindheit wächst, wenn es denn dort wachsen darf, durch die Erfahrung der Geborgenheit unter der Obhut beschützender Menschen. Hier wird der Keim für das Prinzip Hoffnung gelegt, das sich später in vielen Gewändern individuell – sei es in einem konfessionellen Glauben oder einer säkular geprägten Weltanschauung – ausdrücken kann.

    • Susanne Bentzien says:

      Sehr schön, was Sie schreiben……ich glaube auch, dass es jetzt um unser aller Urvertrauen geht….ich habe es, Gott sei Dank .Leider kommt dieses Thema in den niederprasselnden Medienberichten zu kurz

  5. Susanne Bentzien says:

    Eigentlich sollte in diesen Tagenan der Akademie die Tagung zum Thema Bonhoeffer beginnen, zu der ich mich u.a. angemeldet hatte.Das Absagen und die aktuellen Umstände haben mich traurig gemacht.
    Ich lese wieder in Bonhoeffer Texten und Gebeten und das gibt mir Kraft. Dennoch sind Gefühle von Ohnmacht, Unsicherheit und die Frage:Warum geschieht das jetzt alles mit uns, mit der gesamten Zibilisation im Vordergrund….

  6. Christian Nitsche says:

    Wir erleben eine sorgenvolle Zeit, die auch eine Phase der Konzentration auf das Wesentliche sein kann, eine Chance auf Einkehr. Das Unvermögen, eine solche Krise zu steuern, offenbart die Überheblichkeit, mit der viele dem Leben begegnen. Wir erleben nun eine Zeit der Demut und Besinnung. Das Bedürfnis nach Anbindung an Freunde und Familie wächst in der Isolation. Auch die Anbindung an Gott erleichtert den schweren Weg, der noch bevorsteht.

    Ich danke Herrn Hahn sehr für seinen Text. Er schafft Perspektiven, die gerade in solchen Zeiten wichtig sind.

  7. Christian Weitnauer says:

    Gelesen in einer Arztpraxis:

    Vocatus aut non vocatus Deus aderit.

  8. Paul H. Kroh says:

    Schon Camus “Die Pest” zeigt, wie sinnlos es ist, nach Sündenböcken zu suchen. Beim Klimawandel können wir noch in Teilen sagen: Die Natur schlägt zurück.-
    Bei der Pandemie erinnert es mich an den König David, der in der Not differenzierend wählen soll, ob Hungersnot, Feinde oder 3 Tage Pest.
    Seine Antwort ist: “Mir ist sehr angst. Doch laß uns in die nHand des Herrn fallen und nicht in der Menschen Hand. Denn seine Barmherzigkeit ist groß” (2. Samuel 24).
    Diese Wahl zitierte mein Vater manchmal, der 2 Weltkriege durchlebte.
    Die Stelle machte ihm deutlich (s. auch W. Jens und E. Bloch): Israel malt keine Heldensage, selbst nicht bei dem glänzensten König mit der größten Landausdehnung, den das Volk je hatte. Auch zuvor schon wird
    der König zur Rechenschaft gezogen, als er seinem Feldherrn Uria dessen Frau Bathseba klaut. Hier will der King David – wie die Nachbarkönige mit Größen-Ich eine Zahlen-Heerschau vorweisen. Genau da wird er auf seine Grenzen verwiesen.
    Uns bleibt, wo immer wir können, Nächstliegendes zu tun.

  9. Dorothea Assig und Dorothee Echter says:

    Über Glauben wohltuend aufrichtig zu schreiben, ist unfaßbar schwer. Hier ist es gelungen. Vielen Dank, lieber Herr Hahn, mit herzlichen Grüßen von Dorothea Assig und Dorothee Echter

  10. Petra Gouase says:

    Danke für den wahrlich bereichernden Artikel und damit verbunden der Erinnerung unserer Glaubensübermittlung meiner Mutter an ihre 5 Kinder. Ihre Worte: “Der Glaube versetzt Berge”…gib all deine Sorgen ab an IHN …er zeigt DIR den Weg, erfüllt uns heute noch mit der inneren Ruhe. Wohl denen, die dadurch in schweren Tagen von Hoffnung auf das Gute und den Sinn dieser Lage eine besondere Bedeutung zumessen. Persönlich stelle ich immer wieder fest, dass die vermeindliche Ruhe durch eine unsichtbare Resettaste des C- Virus uns gut tut. Meine Begegnungen im Alltag empfinde ich freundlicher und wohlwollend. Für mich ganz nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang des Glaubens, dass gerade für ältere Mitmenschen die Glaubenshäuser gerade JETZT als “Kraftort für diese grosse Gruppe von Gläubigen” und derer die den Glauben suchen nun (ver-)geschlossen sind. Auch in Kirchen wäre es möglich limitiert Gläubige im Sicherheitsabstand mit Ehrenamtlichen als Aufsicht zuzulassen. Diese Generation sind in keinen Online-Portalen unterwegs um sich diese Kraft von aussen zu holen. Nachweislich heilend als auch stärkend für das Immunsystem und für das seelische Gleichgewicht, ist der Glaube und die Hoffnung, dass es weiter geht – wenn auch das WIE (?) für den Einzelnen sehr unterschiedlich ausfallen wird und sicher neue Wege nach der Krise aufzeigt- allemal.

    Vielen Dank, in Vorfreude auf weitere Teilnahmen von Veranstaltungen in der Akademie.

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