Himmel & Erde

Zivilcourage ist das Gebot der Stunde

Die Debattenkultur in Deutschland hat sich massiv verändert. Akademiedirektor Udo Hahn spricht in seinem Gastkommentar für die Bayern 2-Sendung “Zum Sonntag” von Grenzüberschreitungen, die absichtlich und subtil geschehen – und die sich einer “Sprache der Verharmlosung” bedienen. In Zeiten wie diesen brauche es eine Brandmauer, die für Demokratie und Werte eintritt. Eine Brandmauer, die couragiertes Verhalten eines jeden Menschen im Alltag erforderlich macht. Lesen Sie hier den vollständigen Kommentar.

Sendetermin: Samstag, 10. Februar 2024 um 17.55 Uhr auf Radio Bayern 2

 

Von Udo Hahn

Mut – das war über Jahrhunderte eine Tugend, die ausschließlich bei militärischen Kampfhandlungen, in der Situation des Krieges ein Thema war. Dass es Mut auch im Alltag braucht, hat in Deutschland Reichskanzler Otto von Bismarck erstmals zum Thema gemacht. 1864 stellte er die Zivilcourage – wörtlich übersetzt: den Bürgermut – dem militärischen Mut gegenüber. Er beklagte damals, dass ein Verwandter ihn im Preußischen Landtag nicht unterstützt habe. Bismarck kritisierte: Was auf dem Schlachtfeld normal sei, fehle im Alltag: die Zivilcourage.

Zivilcourage ist das Gebot der Stunde. Das ist in diesen Tagen und Wochen der Tenor auf allen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und ein Erstarken der AfD.

Zivilcourage als Mut der Bürgerinnen und Bürger, Verantwortung zu übernehmen. So wird im Französischen die courage civil seit Beginn des 19. Jahrhunderts als „Bürgertugend“ beschrieben. Gemeint ist der Mut des Einzelnen zum eigenständigen Urteil. In der englischen Sprache wird Zivilcourage übrigens mit moral courage übersetzt. Das lenkt den Blick auf das, worum es ganz entscheidend geht: um Moral, Werte und Regeln, um Verhaltensnormen und Gebote, die das Miteinander bestimmen.

Sprach- und politikwissenschaftliche Analysen weisen schon lange auf Veränderungen auch in Deutschland hin. Dass es im Streit mal heftig werden kann, wenn Positionen schier unversöhnlich aufeinander prallen – das ist nichts Ungewöhnliches. Aber seit die AfD in den Parlamenten vertreten ist, hat sich die Debattenkultur in hierzulande massiv verändert. Rechtsextremes Gedankengut, gezielte Provokationen und Lügen treten in einem Maße zu Tage, dass dies  nicht mehr als üblich bezeichnet werden kann.

Hinzu kommt: Die Grenzüberschreitungen sind kein Zufall. Sie geschehen nicht unbedacht, sondern absichtlich. Und subtil. Das ist die vielleicht schlimmste Form. Sie bedient sich einer Sprache der Verharmlosung. Bestes Beispiel: von Remigration zu sprechen, wo es doch um Deportation geht, um die willkürliche Ausweisung von Menschen mit Migrationshintergrund, selbst wenn diese einen deutschen Pass haben.

Deportationsphantasien sind aktuell der Auslöser, der viele Menschen auf die Straßen treibt. Im rechtsextremen Gedankengut sind sie seit langem fest verwurzelt. Aber der Geheimplan hochrangiger AfD-Politiker, Neonazis und Unternehmer bei einem Treffen im November in einem Hotel bei Potsdam, hat jetzt vielen die Augen geöffnet. Denn mehr als jeder Vierte bei uns wäre davon betroffen und würde vertrieben.

Die Werte, die rechtsextremes Denken bestimmen, haben mit den Werten unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nichts zu tun. Sie widersprechen Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Heißt im Klartext: Jedes Leben ist unantastbar. Niemand steht über dem Gesetz und darf sich herausnehmen, über den Wert menschlichen Lebens zu entscheiden.

Neben der Menschenwürde widerspricht rechtsextremes Gedankengut allen Werten, die dem Grundgesetz heilig und allen heilig sein müssten: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Sicherheit.

Die Zivilgesellschaft in Deutschland zeigt Zivilcourage, wenn sie sichtbar für Demokratie und Werte eintritt. Ob diese Brandmauer hält? Dazu braucht es das couragierte Verhalten eines jeden Einzelnen auch im Alltag. Dort, wo es mit einem Widerspruch schnell ungemütlich werden kann: beim Kaffee-Plausch, unter Kolleginnen und Kollegen, im Verein, auf einer Party, im Hörsaal. Wie gut, dass es viele Initiativen gibt, die Trainings anbieten, in denen man lernen kann, sich zu wehren. Denn Wegschauen ist die schlechteste Option. Sonst werden aus unmenschlichen Plänen unmenschliche Taten.

Der Autor ist Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing.

 

Hinweis:

Vorliegender Text ist als Gastkommentar für die Sendung “Zum Sonntag” von Radio Bayern 2 erschienen.

Sendetermin: 10. Februar 2024 / 17.55 Uhr. Unter diesem Link können Sie die Sendung nachhören.

 

Bild: Pfr. Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing (Foto: Haist/eat archiv)

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