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Die ethische Dimension der Preisgestaltung

Die Preise für Energie und Lebensmittel steigen. Doch wie kommen die Preise zustande und welche sind eigentlich angemessen? Akademiedirektor Udo Hahn findet, bei der Frage nach der Preisentstehung sollte neben Faktoren wie Märkten, Wettbewerb und Demokratiekonformität noch ein weiteres Kriterium in die Debatte mitaufgenommen werden: die ethische Dimension. Gastkommentar für die Bayern 2-Sendung “Zum Sonntag”.

Sendetermin: Samstag, 18. Juni 2022 um 17.55 Uhr auf Radio Bayern 2

 

Wie entsteht eigentlich ein Preis für eine Ware oder Dienstleistung? Und ist dieser auch angemessen? Diese Fragen stellen sich gegenwärtig viele Menschen angesichts stark steigender Ausgaben für Energie und Lebensmittel. Die Faktoren, die die Preiskalkulation beeinflussen, sind rasch aufgezählt. Neben den tatsächlichen Kosten, die für die Herstellung erforderlich sind, spielt der Wettbewerb mit konkurrierenden Anbietern eine Rolle und wie groß die Nachfrage ist. Dabei sind ein möglichst hoher Umsatz und Gewinn ein legitimes Ziel.

Die deutsche Wirtschaftsordnung versteht sich bewusst als Soziale Marktwirtschaft. Sie wurde entwickelt, um keine zu großen sozialen Ungerechtigkeiten entstehen zu lassen. Vor diesem Hintergrund ist die Erwartung der Menschen nur zu verständlich, dass der Staat – wenn nötig – eingreift: dass er zum Beispiel eine Übergewinnsteuer für Unternehmen einführt, die in der aktuellen Krise profitieren. Es steht der Vorwurf im Raum, dass die Mineralölkonzerne die Senkung der Energiesteuer nicht oder in zu geringem Umfang an die Kunden weitergeben. Ob der Staat im konkreten Fall tatsächlich wirksam eingreifen kann und soll, darüber wird heftig diskutiert.

Der Wirtschaftsethiker Joachim Fetzer hat in dieser Debatte vor überzogenen Erwartungen an den Staat gewarnt. Er müsste Eigenschaften haben, die traditionell Gott zugeschrieben werden, so der Professor. Aber so weit muss man gar nicht gehen, wenn man das Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft ernst nimmt: dass der Staat die Freiheit der Marktwirtschaft dort einschränkt, wo sie unsozial ist.

Der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit berührt ein grundsätzliches Thema, das sich nicht ein für allemal klären lässt; eine Lösung muss von Fall zu Fall neu ausgehandelt werden. Im Kern geht es dabei auch um das Selbstverständnis der Demokratie. Angela Merkel hat 2011 von der “marktkonformen Demokratie” gesprochen. Dabei ist der Eindruck entstanden, als habe allein der Staat eine dienende Funktion. Nach dem Motto: Seine Maßnahmen gelten dann als marktkonform, wenn sie mit der marktwirtschaftlichen Ordnung vereinbar sind. Als nicht marktkonform werden sie betrachtet, wenn sie die Marktmechanismen stören. Aber wie steht es denn mit der dienenden Funktion der Wirtschaft?

Hinzu kommt: Es gehört doch zum Selbstverständnis der Sozialen Marktwirtschaft, dass der Markt eben nicht alles selbst regeln kann. Deshalb steht dem Gedanken der marktkonformen Demokratie das Leitbild eines demokratiekonformen Marktes gegenüber. Es meint, dass die Wirtschaft nicht im luftleeren Raum agieren darf. Genau dieser Eindruck hat die Forderung nach einer Übergewinnsteuer entfacht, dass sich die Mineralölkonzerne in der Krise womöglich bereichern – auf Kosten und zu Lasten des Gemeinwohls.

Im Lichte dieser Debatte fällt auf, dass die Frage nach dem angemessenen Preis unbedingt um ein Kriterium erweitert werden muss: die ethische Dimension. Blickt man in die Lehrbücher zur Preisgestaltung, so kommt sie jedoch kaum vor. Mit fatalen Folgen. Dabei macht jede Wirtschaftskrise deutlich, dass dort, wo die Verantwortung für die Gesellschaft unberücksichtigt bleibt, alles nur noch schlimmer wird.

Deshalb betont der Wirtschaftsethiker Joachim Fetzer mit Recht, dass Unternehmen eine Mitverantwortung für das System haben, in dem sie leben. Es ist richtig, diese auch und gerade jetzt einzufordern. Es sei klug, so Fetzer, den Anschein von Wucher zu vermeiden. Die Handlungsfreiheit von Unternehmen besteht darin, dass die Marktwirtschaft grundsätzlich akzeptiert wird. Der Wirtschaftsethiker wörtlich: “Unternehmen, die sich so verhalten, dass diese Akzeptanz erodiert, sägen auch an dem moralischen Ast, auf dem sie sitzen.”

Mehr noch: Sie zerstören damit ebenso das Vertrauen in die Demokratie. Staat und Zivilgesellschaft dürfen das nicht zulassen.

 

Der Autor ist Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing.

 

Hinweis:
Vorliegender Text ist als Gastkommentar für die Sendung “Zum Sonntag” von Radio Bayern 2 erschienen.
Sendetermin: 18. Juni 2022 / 17.55 Uhr. Unter diesem Link geht es zur Homepage der Sendung.

 

Bild: Pfr. Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing (Foto: Haist/eat archiv)

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