Digitale Welten

Volker Herres: Für einen intellektuellen Schulterschluss der Qualitätsmedien

Die glücklichen Zeiten der Menschheit sind die leeren Blätter im Buch der Geschichte“, hat der deutsche Historiker Leopold von Ranke gesagt. Wenn das stimmt, dann müssen wir derzeit hellwach sein. Denn wir alle spüren doch, wie lange Zeit sicher geglaubte Gewissheiten ins Wanken geraten: Epochaler ökonomischer, technologischer und politischer Wandel. Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Globalisierung, Handelskriege, Klimawandel, Erderwärmung, Migration, Fremdenfeindlichkeit, ja selbst wieder offener Antisemitismus ausgerechnet bei uns. Ein Amerika, das sich vom Multilateralismus zurückzieht. Putins Russland auf imperialem Retro-Kurs. China kühl kalkulierend auf dem Weg zur Weltmacht. Neuer Hyperwaffen-Rüstungswettlauf, Populismus und Renationalisierungs-Tendenzen in einem sich verzwergenden Europa, – das alles füllt ganze Kapitel im Buch der Geschichte.

Aufgepasst also – beim Rendezvous mit der Wirklichkeit. Denn nichts von dem, was dieses Land so lebenswert macht, ist für ewig garantiert, wenn wir es nicht verteidigen, wenn wir uns nicht engagieren für eine offene Gesellschaft – und gegen ihre Feinde.

In Zeiten wie diesen, können wir uns eine dysfunktionale Öffentlichkeit nicht leisten. In der digitalen Welt des Netzes aber zerfällt Öffentlichkeit in immer mehr Teilbereiche, in Filterblasen und Echokammern. Oder wie Francis Fukuyama in seinem neuen Buch „Identity“ schreibt: Im Netz entstehen „eigenständige Gemeinschaften, die durch geteilte Identitäten abgeschottet sind“. Eine funktionierende, eine übergreifende Öffentlichkeit aber ist für die Demokratie essentiell. Thomas Jefferson, Verfasser der Unabhängigkeitserklärung und dritter Präsident der Vereinigten Staaten hat es – aktueller denn je – treffend formuliert: „Information – ist die Währung der Demokratie.“ Das Netz indes kassiert die tradierte Ordnung des gesellschaftlichen Diskurses. Klassische Qualitätsmedien büßen ihre Rolle als Gatekeeper ein. Und dieser Strukturwandel der Öffentlichkeit ist keineswegs neutral. Der Logik der Datenökonomie folgend, gewinnt Aufmerksamkeit immer die Zuspitzung und Emotionalisierung gegenüber der Sachlichkeit und der Differenzierung. Und so werden politische Diskussionen manipulationsanfälliger, kurzatmiger, polemischer. Sie bewegen sich zwischen Mainstream, Skandalisierung, Shitstorm, Empörung und „Helikopter-Moral“ , wie der deutscher Psychoanalytiker  Wolfgang Schmidbauer die Neigung globalisierter Konsumgesellschaften zu ständigen und überstürzten moralischen Bewertungen, ohne genaue Kenntnis, aber mit umso festerer Gesinnung, beschrieben hat. Im Netz gilt zuweilen: Dumm klickt gut.

Demokratie aber braucht den Dialog, den Diskurs, die Differenzierung und die Kompromisssuche, nicht den gesinnungsgetriebenen Schlagabtausch. Sie basiert auf Vernunft, nicht auf Gefühlen und Ängsten. Wenn aber die Information, also die Währung der Demokratie, verkommt, dann muss, wer nichts mehr sicher weiß, alles glauben. – Die politischen Auswirkungen können wir in Europa wie in den USA gleichermaßen beobachten. Die Anfälligkeit für die Männer und Frauen mit den einfachen Antworten steigt. Die Disruption, sie ist eben nicht neutral, sie nagt an der Demokratie. Und deshalb brauchen wir in diesen Zeiten – bei allem Wettbewerb – auch den intellektuellen Schulterschluss der Qualitätsmedien. Denn wer sonst sollte die Gegenkraft darstellen? So haben es uns auch die Verfassungsrichter in ihrem jüngsten Urteil im Juli letzten Jahres aufgetragen, nämlich „durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen die Wirklichkeit nicht verzerrt darzustellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund zu rücken“.

Wenn das gelingen soll, dann müssen wir uns täglich fragen, wie durch Qualität, Attraktivität und Kreativität unserer Angebote, durch kluge Aufmachung und Platzierung ein breites Publikum – so breit wie möglich – interessiert werden kann für politisch und gesellschaftlich relevante Inhalte. Dazu braucht es übrigens Profis in den Redaktionen. Und deswegen muss Journalismus eine Profession bleiben und wir müssen auch in die Ausbildung des Nachwuchses investieren.

Dass Verleger, Printmedien und öffentlich-rechtliche Programmanbieter in der Analyse nah sind, zeigt mir etwa die Ausschreibung des Theodor-Wolff-Preises 2019, des Journalisten-Preises der deutschen Zeitungen. Als Thema des Jahres hat die Jury „Welt im Umbruch – Demokratie in Gefahr?“ ausgelobt. Bei diesem Thema sitzen wir in einem Boot und die Gegner sind andere. Und deshalb sollten sich, finde ich, gerade jene nicht gegenseitig bekämpfen, oder auch nur desavouieren  – Stichworte „Staatsfunk“ oder „Zwangsbeitrag“ – die, immer noch – alle Studien zeigen es – die größte Glaubwürdigkeit bei den Lesern, den Zuhörern oder Zuschauern genießen. Das ist unser Kapital, das des Rundfunks und der Verlage gleichermaßen. Das müssen wir uns täglich verdienen. Und das sollten wir nicht selbst beschädigen.

Wenn es um die Glaubwürdigkeit deutscher Medien geht, gibt’s durchaus Erfreuliches. Egal welche Untersuchung man heranzieht: Sie ist gestiegen. 2015 noch, so eine infratest-dimap-Untersuchung, antworteten auf die Frage, ob sie Informationen in den deutschen Medien für glaubwürdig halten, 52% mit „Ja“. Aktuell sind es 65%. Also ein klares Plus! Und eine aktuelle Studie des „Pew Research-Center“ wiederlegt einen vermeintlichen Trend: Zwar beziehen 73 Prozent der 18- bis 29-Jährigen hierzulande ihre Nachrichten am ehesten online. Aber ihr Vertrauen gilt dort am ehesten den – Achtung! – Online-Angeboten etablierter Printmarken und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Und deshalb ist für mich der gefährlichste Gegner nicht das Konkurrenzblatt oder der Konkurrenzsender, sondern Politikverdrossenheit in unheiliger Allianz mit gezielter Desinformation. Im Geiste des überaus erfolgreichen Volksbegehrens zum Schutz der Artenvielfalt in Bayern sollten wir daher – bei aller gesunden journalistischen Konkurrenz – auch wieder mehr Schulterschluss wagen und die Artenvielfalt in den Qualitäts-Medien als das begrüßen, was sie ist: Reichtum nämlich!

 

Der Autor, Volker Herres, ist Fernsehjournalist und Programmdirektor des Ersten Deutschen Fernsehens.

Bild: Volker Herres (Foto: ARD//Herby Sachs)

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