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Klimaschutz- eine generationenübergreifende HINAUSforderung!

Maria Lüttringhaus ist Expertin für Quartiersarbeit und Sozialraumorientierung. In ihrem Gastbeitrag fordert sie von Kirche und Diakonie, die eigene Blase zu verlassen und sich nach außen und innen zu öffnen. “Rausgehen, sich vernetzen, auf andere zugehen, sich in aller Diversität als eins begreifen.” Die Gebote der Stunde: Vernetzung in der Zivilgesellschaft und intergenerationale Zusammenarbeit. Angesichts von Klimakrise sowie Finanz- und Mitgliederschwund der Kirche liege hier sogar eine besondere Chance.

 

Von Maria Lüttringhaus

Wir leben in paradoxen Zeiten. Einerseits sendet der Klimawandel schon deutliche Vorboten, andererseits ist unser Erfahrungswissen, das wir über Jahrzehnte und Jahrhunderte erworben haben, für die zukünftige Entwicklung untauglich geworden. Klimawandel bedeutet eine radikale Entwertung des Erfahrungswissens. So haben es auch die Autoren Nick Reiner Und Toralf Staudt in ihrem Buch “Deutschland 2050: Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird” geschrieben.

Was macht es mit uns, wenn an allen Ecken Grundsätze infrage gestellt werden (müssen)? Was geschieht mit unserer Gesellschaft und in unserem Zusammenleben, wenn altes Erfahrungswissen für junge Generationen nicht mehr zählt? Wenn ein “Weiter so” jungen Generationen als Provokation erscheint und sie sich als letzte Generation verstehen?

Klimaschutz und Klimaanpassung erfordern eine generationenübergreifende Taskforce. Wir die Älteren – wie ich als Babyboomer – haben ja doch einiges verbockt. Wir haben den Club of Rome Bericht in den 80er Jahren zwar registriert, aber dann mehr oder weniger ignoriert. Viel wurde schon über Lösungsansätze auf individueller Ebene diskutiert: Konsumverhalten, Ernährung, Mobilitätsfragen. Die derzeitige Individualisierung von Verhaltensänderungen für den Klimaschutz kann allerdings nicht zur Hauptlösung des Problems werden. Verhaltensänderungen sind wichtig, zu einer Endpolitisierung des Problems sollten sie aber nicht führen.

Erschrocken habe ich in einem Artikel gelesen, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland meint, Klimaschutz könne überwiegend durch privates Verhalten verändert werden. Kaum jemand glaubt mehr, dass die Politik entscheidende Veränderungen bewirkt. Jedoch fangen politische Lösungen nicht erst in Berlin an, sondern schon dort, wo wir uns als Bürger:innen auf den Weg machen: heraus aus dem privaten Raum, hin zu Zusammenschlüssen in Initiativen. Vertrauen in die Politik kann im gemeinsamen Handeln gefördert werden, und zwar da, wo wir den Finger in die Wunde legen und konstruktiv an der Transformation mitarbeiten. Es ist höchste Zeit, den Umbauprozess als Aufbauprozess zu verstehen, so wie wir in der Nachkriegszeit dieses Land mit all seinen Strukturen und Institutionen aufgebaut haben.

Auch für die Kirche und die Diakonie bedeutet das: Geht hinaus aus Euren Räumen! Öffnet Eure Räume! Das Leitbild der Gemeinwesendiakonie muss auch mit Blick auf Klimaschutz und Klimaanpassung gelebt werden. Es fordert dazu auf, zusammenzurutschen und sich den Gemeinschaftsaufgaben zu stellen.

Die Bewahrung der Schöpfung, nachhaltiges und faires Handeln als Themen von Kirche und in Einrichtungen der Diakonie waren in den achtziger Jahren gelebte Praxis: Es waren letztlich die Kirchengemeinden und Institutionen, die Impulse für fairen Handel in die Gesellschaft getragen haben und auch die etablierte Entwicklungshilfe reformiert haben. Abrüstung war ein Thema, das die Menschen auf den Straßen zusammenbrachte, “Schwerter zu Pflugscharen” wurde sowohl in der DDR zum Emblem von kirchlichem Zusammenhalt und für Abrüstung als auch zum Symbol westdeutscher Friedensbewegungen.

“Sich als Teil einer Bewegung verstehen, mit der man sich vernetzt”

Der Umbau mit und in unserer Gesellschaft fordert uns alle gleichermaßen. Noch haben wir dazu Organisationen, die weitgehend funktionieren und die durch das Thema ein Stück neu belebt werden könnten: Organisationen wie Diakonie und Kirche.

Bewahrung der Schöpfung – das ist nur eines der Ziele im Leitbild der Gemeinwesendiakonie. Ich finde: Da geht noch was! Am besten zusammen und generationenübergreifend! Für alle Aktiven in Kirchengemeinden bedeutet dies eine HINAUSforderung in den Sozialraum, der mehr umfasst als die klassische Kirchengemeinde. Dieser Sozialraum findet sich in den relevanten Gruppen vor Ort im Bereich Klima- und Naturschutz, in denen Menschen aus Kirche und Diakonie mitmischen und Präsenz zeigen sollten: Beim Naturschutzbund, beim BUND, bei den Parents for Future, bei den Initiativen für die Verkehrswende (z.B. eines Radentscheids), man initiiert Bürgeranträge, lädt Politiker:innen ein zum Dialog.

Auf der kommunalen Ebene können wichtige Verknüpfungen hergestellt werden: Man kommt raus aus der eigenen Blase und zeigt Präsenz – z.B. Kirchengemeinde. Dazu muss sich manche Kirchengemeinde in Demut üben und anerkennen, dass die Gemeinden nicht mehr den Kern und Nukleus einer Bewegung bilden, wie das früher öfters noch der Fall war (wie in der Friedensbewegung, der Eine-Welt Bewegung…). Sie darf sich nicht wundern, wenn die hauseigene Umweltgruppe nur wenig “Neue” von draußen aktiviert. Die Devise heißt: Rausgehen und Gesicht zeigen und sich als Teil einer Bewegung verstehen, mit der man sich vernetzt. Dies wird von vielen Kirchengemeinden derzeit noch immer als Verletzung betrachtet. Es gilt, die Chancen zu sehen, die sich auftun, wenn man sich draußen in die Bewegung einklinkt als Vertreter:innen – ganz offen (und mutig) mit christlichem Hintergrund.

Dieses Heraustreten bedeutet auch, mit gutem Beispiel voranzugehen, zum Beispiel in Sachen Mobilitätswende. Kann der Parkplatz umgewidmet werden in einen Skaterplatz? Gibt es genug Fahrradstellplätze? Sind sie an den richtigen Orten platziert? Existieren vielleicht Belohnungsysteme für umweltfreundliches Verkehrsverhalten? Wie können kirchliche Einrichtungen Kommunen in ihren Hitzeschutzplänen unterstützen, etwa in Siegelung und Begrünung, durch Renaturierungsprojekte wie “Komm beeten!” oder auch durch die Öffnung von Kirchen in Hitzeperioden als Orte der Kühlung und Begegnung?

 Kirche muss wieder als belebende Kraft gesellschaftlich in Erscheinung treten

Die Liste der Möglichkeiten ist schier endlos: Sanierung können gezeigt werden – sozusagen “zum Anfassen”. Eine Idee: Im Rahmen eines “energetischen Frühschoppen” kann eingeladen werden, Sanierung für andere (be-) greifbar zu machen und aufzuklären über praktisches Wissen: Wie hört sich eine Luft-Wärmepumpe an? Welche Fördermöglichkeiten gibt es? Und was halten sie von Abkündigungen mit Blick auf die steigenden Kosten und Wohnungslosigkeit: “Unsere Partner der Diakonie suchen derzeit Wohnraum für….”? Was halten sie von einer Nebenstelle für Lebensmittelverteilung in den Gemeinderäumen, von einem Kühlschrank für Foodsharing oder Hochbeeten als Anfangsprojekte einer naschbaren Stadt? Wie das über diese Andeutungen hinaus ganz praktisch mit Freude und Kreativität gehen kann, erkläre ich in diesen beiden Videos: “Warum gehören Sozialraumorientierung und Klimagerechtigkeit zusammen?” und  “Sozialraumorientierung in Kirche und Diakonie (WIR&HIER Kongress 2021)”.

Rausgehen, sich vernetzen, auf andere zugehen, sich in aller Diversität als eins begreifen. Das sind Überzeugungen, die wir als Kirche unterschreiben. In Gemeinschaft lassen sich Herausforderungen und Probleme am besten anpacken. Es tut nicht nur der Kirche gut, sich unter das Volk zu mischen, neue Räume zu betreten und die eigenen Räume zu öffnen. Es tut auch dem Klima gut, wenn wir uns nicht als einzelne oder als Kirche zurückziehen, sondern uns stattdessen als Teil der Welt verstehen. Das müssen wir im Alltag ganz pragmatisch, aber mit Freude und Überzeugung leben.

Dass Krise und Chance im Chinesischen das gleiche Schriftzeichen sind, hat sich ja mittlerweile rumgesprochen. Es wird höchste Zeit- für Klimaschutz! Es wird höchste Zeit für die Kirche, wieder als belebende Kraft gesellschaftlich in Erscheinung zu treten!

 

Zur Autorin:
Dr. Maria Lüttringhaus ist Social Entrepreneur; zertifizierte Case Management Ausbilderin (DGCC), Sozialpädagogin (FH)/Diplompädagogin und Inklusionsbeauftragte. Sie ist im Rahmen der Personal- und Organisationsentwicklung nach dem Fachkonzept Ressourcen-, Lösungs- und Sozialraumorientierte Arbeit tätig und Gründerin des “LüttringHaus all Inclusive”, einem Wohnprojekt für junge Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf und inklusiver Stadteilarbeit. Weitere Informationen hier.

 

Hinweis:
Maria Lüttringhaus können Sie auf unserer Tagung “Hey Alter! Generationen vernetzt im Quartier” vom 10.-11. Januar 2024 als Referentin erleben und mit ihr ins Gespräch kommen. Alle Informationen zu Programm und Anmeldemodalitäten finden Sie hier.

 

Bild: Maria Lüttringhaus (Foto: luettringhaus.info)

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1 Kommentar

  1. Friederike Meyer says:

    Sehr geehrte Frau Dr.Lüttringhaus,
    solange Kirche und “Umweltaktivisten” zu Kriegen schweigen, die den Himmel verdunkeln, unsere Atemluft verpesten, Rohstoffe vernichten, sind jegliche Bemühungen unglaubwürdig. Tote auf beiden Seiten. Parkplatz als Skaterplatz?
    SOS – wo bleibt Kant? Es wäre sinnvoll, den Mut zu haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen!
    Das Auto dient den verbliebenen Berufstätigen,
    der Unabhängigkeit älterer, schwächerer Menschen…
    Was leisten Skater zum Wohl der Gesellschaft? Circenses statt Panem? Hallelujah!!!
    Schöne Grüße – Friederike Meyer

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