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Klimabremser-Allianzen im Schatten der Pandemie

Bringt die Corona-Krise langfristig mehr Klimaschutz? Das hängt davon ab, wer die politischen Debatten über den Umgang mit den Krisenfolgen bestimmt, schreibt die Politikwissenschaftlerin und Campaignerin Dr. Christina Deckwirth. In ihrem Beitrag über die Corona-Krise und Lobbyismus schärft sie den Blick für die Anliegen von Initiativen wie Belastungsmoratorien” oder Kaufprämien für Autos und fordert mehr Transparenz.

Von Dr. Christina Deckwirth

 

Blauer Himmel und leere Straßen durch Corona – auf den ersten Blick sind die Auswirkungen der Pandemie gut fürs Klima. Doch ob die Corona-Krise langfristig tatsächlich mehr Klimaschutz bringt, ist noch sehr ungewiss. Ein wichtiger Faktor dabei ist, wer die politischen Debatten über den Umgang mit den Krisenfolgen bestimmt. Starke Klimabremser-Lobbyallianzen drängen schon jetzt darauf, angesichts der Krise die Wirtschaft nicht mit mehr Klimaschutz zu “belasten”. Um diesen Lobbydruck zurückzudrängen, müssen viele Stimmen gehört werden – und zwar in ausgewogenen und transparenten Debatten.

Begehrlichkeiten und Beharrungskräfte

Konjunkturpakete, Staatshilfen und Kaufprämien – die Bundesregierung bewegt gerade so große Summen für die Wirtschaft wie nie zuvor. Das bietet große Chancen, steuernd auf die Wirtschaft einzuwirken. Die Politik könnte die Krise nutzen, um die notwendige ökonomische und gesellschaftliche Transformation in Richtung Klimaneutralität zu beschleunigen und damit Weichen für die Zukunft zu stellen. Doch die Verteilung von Geldern weckt auch Begehrlichkeiten. Und die Diskussion über Transformationspfade stößt auf mächtige Beharrungskräfte. Einige Klimabremser-Lobbygruppen nutzen die Corona-Krise deswegen lieber, um angestammte Positionen zu bekräftigen oder gar alte Forderungen wieder hervorzuholen.

Klimaschutz: Unnötige “Zusatzbelastungen” in der Krise?

Im Frühjahr 2020 gruben Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände wie BDI, BDA und DIHK in einem gemeinsamen Positionspapier eine alte Forderung wieder aus und forderten ein “Belastungsmoratorium”. Danach sollten im Zuge der Corona-Krise alle Gesetze daraufhin überprüft werden, ob sie eine “Belastung” für Unternehmen seien und gegebenenfalls gestoppt werden. Zu solchen lästigen Regeln und Maßnahmen zählten u.a. Steuern, Datenschutz und auch Umweltschutzauflagen. Wenig später meldete sich auch der Deutsche Bauernverband mit ähnlichem Wortlaut zu Wort – sein Vorschlag: es brauche angesichts der Corona-Krise ein Moratorium für “neue, kostenintensive gesetzliche Auflagen und Standards”. Als Beispiele nennt der Verband die Dünge-Verordnung, die EU-Wasserrahmenrichtlinie oder neue Standards in der Tierhaltung.

Bei der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD scheinen die Verbände mit ihrer Forderung nach einem “Belastungsmoratorium” Gehör zu finden. Im Koalitionsausschuss forderte die CDU im April 2020, alle Belastungen für Unternehmen zu vermeiden. Einigen konnte man sich am Ende auf die Formulierung, künftig “besonders darauf zu achten, Belastungen für Beschäftigte und Unternehmen durch Gesetze und andere Regelungen möglichst zu vermeiden.” Dass die Beschäftigten erwähnt werden, spiegelt wahrscheinlich die Handschrift der SPD wieder – und verschleiert den Ursprung der Forderung von den Wirtschaftsverbänden.

Und in der Praxis? Tatsächlich berief sich wenig später die Unionsfraktion in einem Positionspapier auf diese Passage, als sie darauf drängte, die EU-Klimaziele nicht wie geplant zu erhöhen. Rückendeckung bekam sie erneut aus der Wirtschaft, nämlich vom CDU-nahen Unternehmerlobbyverband “Wirtschaftsrat der CDU”. Deren Generalsekretär bezeichnete die geplante Erhöhung der europäischen Klimaziele während der Corona-Krise als “politische Instinktlosigkeit. Auf europäischer Ebene wurde schließlich hart gerungen, am Ende konnte der Durchmarsch der Klimabremser-Lobby allerdings verhindert werden: Die Klimaziele wurden zumindest um einige Prozentpunkt erhöht. Doch eines ist sicher: Die Forderung, die Wirtschaft im Zuge und in der Folge der Corona-Krise von zusätzlichen “Belastungen” durch Klimaschutz zu befreien, wird uns weiter begleiten.

Besonders dreist: Kaufprämien für die Autoindustrie

Ähnlich dreist waren im Frühjahr 2020 die Rufe der deutschen Autoindustrie nach Kaufprämien, um ihren Absatz anzukurbeln. Dabei ist wichtig zu wissen: Der Verkauf deutscher Autos war schon vor der Krise eingebrochen. Und: Kaufprämien hatte es in Form einer Abwrackprämie schon bei der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 gegeben. Damals hießen sie “Umweltprämie”, brachte aber weder ökonomischen noch ökologischen Nutzen. Auch dieses Mal hagelte es Kritik von allen Seiten – und zwar keineswegs nur von Umweltverbänden, sondern auch von Wirtschaftswissenschaftler:innen und Politiker:innen verschiedenster politischer Richtungen.

Trotz dieser breiten Kritik verschaffte sich die Autoindustrie mit ihrer Forderung zunächst Gehör in der Politik. Die Bundeskanzlerin lud zu ihrem regelmäßigen Autogipfel ein – einer exklusiven und einseitig besetzten Klüngelrunde aus Politik und Autoindustrie. Dieser institutionalisierte Lobbykanal verschafft einer ohnehin mächtigen Lobbygruppe zusätzlich privilegierten Zugang zur Bundesregierung. Doch: die Proteste gegen die Lobby-Forderung Kaufprämie und die Lobby-Audienz im Kanzleramt waren zu groß. Die Bundesregierung beugte sich dem gesellschaftlichen Druck und sagte kurzfristig einen weiteren geplanten Autogipfel, auf dem über Kaufprämien beraten werden sollte, ab. Und auch der Forderung nach einer Verbrenner-Kaufprämie erteilte sie weitgehend eine Absage. Das war ein klarer Dämpfer für die Autoindustrie. Die engen Beziehungen zwischen Bundesregierung und Autoindustrie haben Risse bekommen.

Doch – als wäre nichts gewesen – lud die Bundesregierung die Autoindustrie schon im Herbst 2020 zu den nächsten einseitig besetzten Autogipfeln ein. Jenseits der öffentlichen Aufmerksamkeit vereinbarte sie im kleinen Kreis dann doch noch eine Kaufprämie: zwar nicht für PKW, aber für LKW. Gemeinsam mit der Kaufprämie für Plug-in-Hybride, die schon im Juni beschlossen wurde, hat die Autoindustrie also doch noch ein großes Stück vom Kuchen bekommen. Außerdem kündigte die Bundesregierung an, einen eigenen Lobbykanal nach Brüssel einzurichten, um die anstehende Abgasreform zu beeinflussen. Zuvor hatte sie die Brüsseler Pläne für strengere Grenzwerte für saubere Luft scharf verurteilt. Allzu tief gingen die Risse im Geflecht zwischen Autoindustrie und Bundesregierung dann doch nicht.

Ausgewogenheit und Partizipation statt privilegierter Zugänge!

Die Corona-Krise ist noch nicht vorbei, die Bearbeitung der Krisen-Folgen wird Politik und Gesellschaft noch lange begleiten. Es werden auch weiterhin hohe Summen fließen, um die Folgen der Krise abzumildern. Deswegen müssen wir auch weiterhin genau hinschauen, wer Einfluss auf die Vergabe dieser Gelder nimmt und wer im Schatten der Krise versucht, lästige Auflagen abzuwehren oder auszuhebeln. Um den Einfluss mächtiger Lobbygruppen zu verringern und einseitige Politik zu verhindern, sollten wir Klimabremser-Allianzen sichtbar machen und auf ausgewogene und transparente Debatten drängen.

Statt denjenigen bevorzugten Zugang zu verschaffen, die ohnehin schon einflussreich sind, muss die Politik eine ausgewogene Beteiligung bei politischen Entscheidungsprozessen sicherstellen. Dazu zählen in der Klimapolitik neben wirtschaftlichen Akteuren vor allem Wissenschaftler:innen, Umwelt- und Verbraucherschutzverbände. Ein vielversprechender Ansatz in dieser Richtung ist ein bundesweiter Klimabürgerrat, der noch vor der Bundestagswahl tagen soll. Geloste Bürger:innen, die die Gesellschaft im Kleinen abbilden, diskutieren hier frei von Lobbyeinflüssen über Wege zur Klimaneutralität. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die nächste Bundesregierung diese Ergebnisse in ihrer Klimapolitik berücksichtigen würde.

 

Zur Autorin:
Christina Deckwirth ist promovierte Politikwissenschaftlerin und arbeitet als Campaignerin im Berliner Büro der Transparenzinitiative Lobbycontrol

 

Hinweis:

Zum Thema Klima-Lobbyismus finden an der Evangelischen Akademie Tutzing die folgenden beiden Veranstaltungen statt:

  • “Corona sticht Klima? Lobbyismus in der Pandemie”, Online-Debatte mit Sven Giegold und Dr. Susanne Götze am 12. März 2021, um 19 Uhr. Mehr dazu hier.
  • Klima-Lobbyismus”, Tagung an der Evangelischen Akademie Tutzing vom 5.-7. Mai 2021. Mehr dazu hier.

Die Autorin dieses Blogbeitrags wird während der Tagung “Klima-Lobbyismus” über strukturelle Herausforderungen und politische Lösungsansätze referieren.

 

 

Bild: Christina Deckwirth, Campaignerin bei Lobby Control (Foto: Lobbycontrol)

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