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Zivilcourage als Lichtstrahl in grassierender Dunkelheit 

“Zivilcourage kann man nicht verordnen. Aber man kann ihr den Weg bereiten.”, schreibt Dr. Philipp Hildmann, Geschäftsführer des Bayerischen Bündnisses für Toleranz. In seinem Gastbeitrag berichtet er von Beispielen, die Licht in scheinbar dunkle Zeiten bringen: von Bürgermut, Bündnissen und Budenzauber.

Von Dr. Philipp Hildmann

Vater und Tochter Hand in Hand. Sie spazieren über die Münchner Theresienwiese. Plötzlich taucht eine Polizeistreife auf. Während der Ausweis des Vaters kontrolliert wird, greift eine fremde Frau die Hand des Kindes und zieht es zu einem nahestehenden Kinderwagen. Fort vom Geschehen, als gehöre es nicht dazu. Fort aus der Gefahrenzone. Denn im Ausweis des Vaters befindet sich ein Stempel. Ein rotes “J”. Er wird verhaftet und fortgebracht. Die fremde Frau hatte offenbar blitzartig erkannt, was hier gerade geschah, und unter höchster Gefahr für ihre eigene Person geholfen. Vermutlich, ohne lange nachzudenken. Vielleicht aus einem tiefverwurzelten Sinn für Gerechtigkeit und Menschenwürde? Zumindest ohne Rücksicht auf eventuelle Folgen für sich selbst. Ein unvermittelter Lichtstrahl in grassierender Dunkelheit. Das kleine Mädchen, vor das sie sich in diesem spontanen Akt von Bürgermut gestellt und kurz darauf nach Hause zu ihrer Großmutter begleitet hatte, hieß übrigens Charlotte. Charlotte Neuland. Charlotte durfte in den folgenden Jahren weitere wunderbare Akte der Zivilcourage erleben, so dass sie die Nazidiktatur überleben und als junge Frau, sechs Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, heiraten konnte. Einen jungen Mann namens Samuel Knobloch. Seinen Nachnamen trägt sie bis heute.

Ein Bündnis wird geboren

Es kommt nicht von ungefähr, dass diese Charlotte Knobloch mit ihrer Lebensgeschichte nach dem vereitelten Bombenanschlag auf die Grundsteinlegung der Synagoge im Herzen Münchens von 2003 zur Mitinitiatorin eines Bayerischen Bündnisses für Toleranz wurde. Ein Bündnis, das sich seit dem Jahr 2005 dem Ziel verschrieben hat, Demokratie und Menschenwürde zu schützen. Dafür standen und stehen die Gründungsmitglieder bis heute – die beiden großen christlichen Kirchen, das Bayerische Innenministerium, die jüdischen Gemeinden und der Deutsche Gewerkschaftsbund. Ins Leben gerufen haben sie mit dem Bündnis eine Begegnungsplattform von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, um diese in ihrem Kampf gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus zu unterstützen und die Erziehung zu Demokratie und Achtung der Menschenwürde zu stärken.

Aus den ersten Anfängen am Münchner Jakobsplatz ist heute, gut 18 Jahre später, ein einzigartiges bayernweites Netzwerk geworden. Diesem gehören inzwischen über 90 Institutionen und Organisationen aus Politik, Wirtschaft, Bildung und anderen gesellschaftlichen Bereichen an. Darunter drei weitere Staatsministerien, der Bayerische Landtag, der Dachverband der kommunalen Integrationsbeiräte in Bayern, Johanniter und Malteser, die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft und – die Evangelische Akademie Tutzing.

Inzwischen volljährig geworden, kommt das Bayerische Bündnis für Toleranz seinem Auftrag, Demokratie und Menschenwürde zu schützen, heute in vielerlei Weise nach. Je breitgefächerter die Herausforderungen werden, desto kreativer begegnet ihnen das Bündnis mit seiner bunten Vielfalt der Mitglieder. Die Ermutigung und Unterstützung von Zivilcourage stellen dabei zentrale Bausteine seiner Arbeit dar.

Bürgermut statt Blut-und-Boden-Rausch 

So beispielsweise in Wunsiedel, einer sympathischen Kleinstadt im Fichtelgebirge. Alljährlich am Vorabend des Volkstrauertages inszenierten dort zusammengekarrte Neonazis ein sogenanntes “Heldengedenken” unter anderem in Anlehnung an das inzwischen aufgelassene Grab des fanatischen Antisemiten und Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß. Zu Hochzeiten marschierten dort mehr als 7.000 Rechtsextremisten durch die nächtlichen Straßen. Mit Fackeln. In Uniformen. Vereint im Blut-und-Boden-Rausch eines völkischen Nationalismus. Diesem rassistischen und offen antisemitischen Treiben stellten sich alljährlich und in wachsender Zahl couragierte Bürgerinnen und Bürger entgegen, die den öffentlichen Raum nicht den neuen-alten Rechtsextremisten überlassen wollten. Im Hintergrund, aber an entscheidenden Stellen mit Rat, Netzwerk und Tat dabei: das Bayerische Bündnis für Toleranz. Das vielfältige Engagement zeigte Wirkung. Die braunen Geister wurden in den letzten Jahren immer weniger. Wurde es doch auch immer ungemütlicher für sie im Angesicht des hellen, bunten, bürgerlichen Treibens, das von klugen staatlichen Maßnahmen flankiert wurde. Dieses Jahr war es dann endlich so weit: Zum ersten Mal seit 35 Jahren wurde kein Neonazi mehr am Vorabend des Volkstrauertags in Wunsiedel gesichtet. Stattdessen fand im Herzen der Stadt ein fröhliches Bürgerfest statt mit Budenzauber, Gebeten, Lesungen und Musik. Couragierte Bürgerinnen und Bürger haben die braunen Geister zumindest vorübergehend gebannt. Auch hier ein Lichtstrahl in ansonsten eher expandierender Dunkelheit.

Zivilcourage kann man nicht verordnen, aber den Weg bereiten  

Die Unterstützung, die Ermöglichung eines Zusammenwirkens von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren ist ein Markenzeichen des Bayerischen Bündnisses für Toleranz. Zivilcourage kann man nicht verordnen. Aber man kann ihr den Weg bereiten. Diesem Anspruch versucht das Bündnis seit seiner Gründung gerecht zu werden – in vielfältiger Art und Weise, mit Kreativität und Strahlkraft, wie es der Vielfalt seiner Mitglieder entspricht. Auch und gerade in Zeiten scheinbar abnehmenden Lichts.

Der Glaube, so sagt uns ein Vers im Evangelischen Gesangbuch, ist wie ein Vogel, der singt, auch wenn die Nacht noch dunkel ist. Ähnliches lässt sich vom Bürgermut sagen: Zivilcourage ist wie ein Lichtstrahl, der die Finsternis durchbricht, auch wenn die Nacht herum noch dunkel ist. Als Bayerisches Bündnis für Toleranz sind wir überzeugt davon, dass am Ende der Nacht immer ein neuer Morgen heraufzieht. Darauf hoffen wir. Darauf arbeiten wir hin. Und deshalb freuen wir uns sehr, dass wir gerade in Zeiten, in denen die Demokratie in unserem Land wieder massiv unter Druck steht, in denen Radikalisierungstendenzen immer klarer zutage treten und verfassungsfeindliche Einstellungen (un-) fröhliche Urständ’ feiern, gemeinsam mit der Evangelischen Akademie Tutzing über Mittel und Wege nachdenken können, Wissen zu erweitern, Handlungskompetenzen zu stärken und Zivilcourage neu zu lernen. Lassen auch Sie sich auf diesen Weg einladen!

 

Zum Autor:
Philipp Hildmann ist promovierter Literaturwissenschaftler und Theologe. Nach Stationen als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systematische Theologie der Universität München und als Lehrbeauftragter der Universität Eichstätt begann er 2004 seine berufliche Laufbahn als Politikberater in unterschiedlichen Funktionen in der Hanns-Seidel-Stiftung. Seit Oktober 2023 ist er Geschäftsführer des Bayerischen Bündnis für Toleranz in Bad Alexandersbad. Unter anderem ist er Mitglied der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste.

 

Hinweis:
Vom 26. – 28. Januar 2024 veranstaltet die Evangelische Akademie Tutzing in Kooperation mit dem Bayerischen Bündnis für Toleranz die Tagung “Zivilcourage – was geht mich das an?”.
 Neben Workshops zum Erlernen von Zivilcourage und Einblicken aus der Praxis (u.a. Polizeiarbeit) und Forschung (Psychologie, Demokratie) wird auch eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion stattfinden sowie ein “Markt der Möglichkeiten” zur persönlichen Vernetzung mit 13 zivilgesellschaftlichen Bündnissen und Vereinen aus der Region. Alle Informationen zu Programm und Anmeldemodalitäten finden Sie hier.

 

Bild: Dr. Philipp Hildmann (Foto: privat)

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