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Vorsorgen in Zeiten der Sorge?

Die Gesundheit der Bevölkerung sowie existenzielle Fragen stehen momentan im Fokus der Öffentlichkeit. Doch auch die Finanzmärkte reagieren auf Corona. Verbraucherinnen und Verbraucher fragen sich: Was passiert mit dem Ersparten? Darauf antwortet Studienleiter Martin Waßink in diesem Blogbeitrag – mit einem volkswirtschaftlichen Blick auf die Lage an den Finanzmärkten.

Soll man in diesen Tagen der Sorge um Existenzielles wie der eigenen Gesundheit überhaupt über Vorsorge, also Materielles, nachdenken? Vermutlich liegt bei Ihnen das Hauptaugenmerk momentan nicht auf Ihrer finanziellen Altersvorsorge. Dennoch bleiben alltägliche Fragen zum Umgang mit dem Ersparten auf Giro- und Tagesgeldkonten oder Sparbüchern. Möglicherweise vertreibt etwas Reflexion und Verständnis finanzwirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher Entwicklungen in Zeiten der Corona-Epidemie – in Anlehnung an ein Bonmot von Martin Luther – sogar die Vögel der Sorge, die sonst auf unseren Häuptern Nester bauen würden?

Es war schon mal leichter, etwas Licht ins Dickicht von Geldströmen und Risiken zu bringen. Die deutlichste makroökonomische Änderung der vergangenen Wochen ist meiner Wahrnehmung nach, dass sich Geldangebot und Geldnachfrage quasi umgedreht haben: Bis vor kurzem gab es Geld im Überfluss, sei es für billige Baukredite für alle bis hin zu Unternehmensanleihen mit einer Rendite von null Prozent. Plötzlich dominiert jedoch ein Mangel an Geld die Diskussion:

  • Der Bundestag hat für die verschiedenen Hilfspakete einen Nachtragshaushalt mit einer Neuverschuldung von über 150 Milliarden Euro beschlossen. Das Bundesfinanzministerium wird also viele neue Staatsanleihen ausgeben müssen, um das benötigte Geld für die beschlossenen Hilfsmaßnahmen zur Verfügung stellen zu können. Auch andere europäische Staaten geben neue Staatsanleihen aus. Die Verschuldungskriterien des Maastricht-Vertrages für die gemeinsame Währung wurden außer Kraft gesetzt.
  • Viele Firmen und Selbstständige büßen jetzt Umsatz ein. Sie brauchen dringend flüssige Mittel, um ihre laufenden Kosten decken zu können. Große Unternehmen nehmen Milliarden an eingeräumten Kreditlinien in Anspruch und horten so Liquidität.
  • Aus demselben Grund (Liquidität!) zögern gerade große Banken, die im Geschäftsjahr 2019 verdienten Erträge wie geplant als Dividenden an ihre Aktionäre auszuschütten. Auch viele weitere große Unternehmen, die an der Börse notiert sind, zeigen dieses Verhalten. Britische Banken melden bereits, dass die vorgesehene Dividende dieses Jahr gestrichen wird.
  • Geschäftsbanken vergeben nur zögerlich Kredite bzw. streichen Kreditlinien für den Wareneinkauf für mittlere und kleinere Unternehmen aufgrund des prognostizierten höheren Kreditrisikos ihrer Kunden in Folge der absehbar schwierigen Geschäfte.

Die Nachfrage nach Geld steigt also deutlich – getreu dem Motto „Cash is King“, wie ein Sprichwort in Krisenzeiten lautet. Die Zentralbanken halten dagegen und geben bekannt, unbegrenzt Anleihen zu kaufen und somit das Geldangebot zu erhöhen. Der Staat drängt mithilfe der staatseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) die privatwirtschaftlichen Banken, durch Kreditgarantien und Förderprogramme dasselbe zu tun.

Was überwiegt jetzt: Die Änderung der Geldnachfrage oder des Geldangebots? Erkennbar ist das am Preis für Geld, dem Zins: Das Zinsniveau aller Staaten des Euroraums, gemessen an der jeweiligen Rendite für zehnjährige Staatsanleihen, ist im vergangenen Monat gestiegen. Deutsche Staatsanleihen weisen nach wie vor eine negative Rendite auf – was trotz aller geplanter Neuverschuldung ein Hinweis für die ausgezeichnete Bonität Deutschlands ist. Italien muss aber bereits wieder 1,5 Prozent pro Jahr für das zehnjährige Ausleihen von Geld bezahlen, Griechenland 1,7 Prozent (Stand: 1. April 2020). Der Preis fürs Geld steigt also, die zusätzliche Geldnachfrage übersteigt das Angebot.

Dies hat auch konkrete Auswirkungen für unsere Möglichkeiten an bekannter Vorsorge: Erste Banken zahlen für ein drei Jahre laufendes Termingeld (Festgeld) Zinsen von über einem Prozent pro Jahr. Die Zinsen für Anlagen mit gesetzlicher Einlagensicherung steigen also wieder – wenn auch langsam. Auch der deutsche Staat wird weiterhin als exzellenter Schuldner wahrgenommen. Das lässt sich an den negativen Renditen für Staatsanleihen erkennen. Das spricht dafür, dass wir uns keinerlei Sorgen darüber machen sollten, die öffentliche Ordnung könnte durch fehlendes Geld zusammenbrechen – selbst dann nicht, wenn Deutschland einen Teil seiner Bonität an südlichere Euro-Länder ausleihen würde (Stichwort Corona-Bonds).

Volkswirtschaftlich spricht viel dafür, dass aufgrund des niedrigen Ölpreises und der anstehenden weltweiten Rezession die Inflationsrate mit Werten von zuletzt zwischen einem und zwei Prozent pro Jahr noch weiter sinkt oder sogar negativ wird. In den Jahren 2015 und 2016 war das kurzfristig bereits der Fall.

Die Zeichen deuten also darauf hin, dass wir mit unserem Geld nächstes Jahr genauso viel oder sogar mehr kaufen können, wenn wir es einfach nur auf den Konten der Banken liegen lassen. Selbst bei niedrigen Zinsen kann die Kaufkraft in Abwesenheit von Inflation (oder eben sogar Deflation) zunehmen. Das bedeutet wiederum, dass man sich wenig Sorgen darüber machen muss, dass es auf Gelder von Tagesgeld- oder Girokonten und Sparbüchern keine oder kaum (nominale) Zinsen gibt. Schließlich interessiert uns ja die reale Kaufkraft.

Also, alles kein Grund zur Sorge? – Nicht ganz. Das Risiko, dass Banken in Schwierigkeiten geraten, ähnlich wie in der Finanzkrise vor über zehn Jahren, bleibt. Was mich jedoch deutlich beruhigt ist, dass auf europäischer Ebene mehrere wichtige Lehren aus der Finanzkrise vor über zehn Jahren gezogen wurden: Der 2012 gegründete Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) als völkerrechtlicher Vertrag verfügt inzwischen über mehr als 80 Milliarden Euro an Kapital und kann sich auch direkt an Banken beteiligen (direkte Bankenrekapitalisierung). Zudem mussten alle großen Banken in Abhängigkeit ihrer Bilanzsumme jährlich einen gewissen Betrag in einen Fonds einzahlen und wurden regelmäßig in sogenannten Stresstests durch die Europäische Zentralbank geprüft, ob sie Krisen unterschiedlichen Ausmaßes überstehen. Falls nicht, mussten zeitnah Maßnahmen ergriffen werden.

Es gibt über die erwähnten Zusammenhänge hinaus natürlich weitere Risiken z.B. an den Devisenmärkten. Dennoch merke ich bei der Recherche und beim Schreiben dieses Blogbeitrags, dass diese Art der Vorsorge – durch Verstehen der volkswirtschaftlichen Zusammenhänge – bei mir zu einem Weniger an Sorge führt. Wie sehen Sie das?

 

Martin Waßink ist Volkswirt (M.A.), zertifizierter Trainer für Verbraucherbildung und an der Evangelischen Akademie Tutzing Studienleiter für Wirtschaft und Arbeitswelt sowie nachhaltige Entwicklung. Er promoviert im interdisziplinären Feld der Regionalentwicklung im Rahmen des Kollegs „Dörfer in Verantwortung: Chancengerechtigkeit in ländlichen Räumen sichern“.

 

Bild: Martin Waßink (Foto: dgr/eat archiv)

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