Am vergangenen Wochenende haben bei der U18-Wahl junge Menschen ihre Stimme zur Bundestagswahl 2021 abgegeben. Die Wahl ist eine Simulation, denn bislang muss man in Deutschland 18 Jahre alt sein, um an Bundestagswahlen teilnehmen zu können. Auch wenn die Stimmen der Jugend bislang nicht zählen, so lässt sich anhand der U18-Wahl erkennen, dass sich beim Thema Wahlalter dringend etwas ändern muss. Warum, beschreibt Julia Wunderlich, Studienleiterin für Jugendpolitik & Jugendbildung (Junges Forum), in diesem Blogbeitrag.
Was wäre, wenn die, die noch am längsten auf dieser Erde leben, wählen könnten? Wählen Menschen zwischen einem Jahr und 18 Jahren anders als Erwachsene? Die U18-Wahl findet jedes Jahr in ganz Deutschland statt. Mit 262.000 jungen Wähler:innen in Deutschland und 68.000 in Bayern wurde bei der diesjährigen Wahl ein Rekord der Wahlbeteiligung gebrochen. Noch nie gab es so viele Wahllokale in Bayern wie 2021. Mit dem hohen politischen Interesse der Jugend geht die Forderung einher, das reguläre Wahlalter abzusenken. In der eigenständigen Jugendpolitik ist das Thema ein Dauerbrenner.
Rekord in der Wahlbeteiligung
Also: Wie wäre denn nun die Lage, wenn Kinder und Jugendlichen wählen würden? Die Ergebnisse der U18-Wahl wurden am 20.09.2021 wie folgt veröffentlicht: In Bayern kam die CSU auf 21 Prozent der Stimmen, die Grünen 18 Prozent sowie die SPD 16 Prozent. Die FDP erreichte zwölf Prozent, die AfD und die Linke jeweils knapp sechs Prozent, sonstige Parteien zusammengefasst 20 Prozent. Deutschlandweit stellten sich die Ergebnisse bei den drei stärksten Parteien im Vergleich zur bayerischen Abstimmung mit Abweichungen bis vier Prozent anders dar: Hier lagen Bündnis 90/Die Grünen mit 21 Prozent vorn, die SPD kam auf 19 Prozent und CDU/CSU auf 17 Prozent. Weitere detaillierte Ergebnisse der U18-Wahl, wie Stadt-Land-Wahlergebnisse, Vergleiche zwischen Nord- und Südbayern oder auch zwischen den Bundesländern, kann man auf der U18-Wahlseite des Deutschen Bundesjugendrings einsehen.
Bundesweit haben bei der U18-Bundestagswahl 262.000 Kinder und Jugendliche in ganz Deutschland in über 2.700 Wahllokalen ihre Stimme abgegeben. Das sind rund 42.000 Stimmen mehr als im Jahr 2017. Auch in Bayern wurde mit 68.000 jungen Wähler:innen und rund 700 Wahllokalen ein Rekord erzielt.
Das zeigt für mich ganz klar, dass junge Menschen politisch sind, in der Politik beteiligt sein und selbst über ihre Zukunft bestimmen wollen. Junge Wähler:innen sind sich der komplexen Themen bewusst. Sie können sich informieren, abwägen, eine Meinung bilden – und wählen. Die hohe Wahlbeteiligung und die hohe Resonanz der angemeldeten Wahllokale bestätigten das einmal mehr.
Junge Menschen sind politisch
Begleitend zur Wahl fanden in den bayerischen U18-Wahllokalen vorab rund 700 Wahlinformations-Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche statt. Nach der U18-Wahl wird es nun darum gehen, diese Wahlergebnisse an Orten politischer Bildung zu evaluieren.
Wählen dürfen bei der U18-Wahl alle Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren, die es möchten. Voraussetzung für die Wahl ist, dass die U18-Wähler:innen ihr Kreuzchen selbst machen können. Die Idee zur U18-Wahl entstand 1996 in einem Jugendtreff in Berlin – der zum ersten Wahllokal wurde. Immer mehr Wahllokale schlossen sich an. Die unter 18-Jährigen wählen zum Beispiel in Jugendtreffs, auf Spielplätzen, in Bibliotheken, oder auch Schulen, wo eigens Wahllokale eingerichtet werden. Bei der ersten U18-Wahl im Rahmen der Bundestagswahl 2009 waren es bereits über 100 Wahllokale, es folgte 2014 die erste U18-Wahl zur Europawahl. Auch die Wahlbeteiligung steigerte sich: Bei der Bundestagswahl 2017 stimmten bereits 23.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland ab und bei der bayerischen Landtagswahl 2018 wählten mehr als 61.000 Kinder und Jugendliche in 453 Wahllokalen. Die Beteiligung an der U18-Bundestagswahl toppte nun alle bisherigen Statistiken.
U18-Wahl: Projekt der politischen Bildung und Brückenbauer
Organisiert wird die U18-Wahl vom Deutschen Bundesjugendring, dem Deutschen Kinderhilfswerk, den Landesjugendringen, wie z.B. dem Bayerischen Jugendring, vielen Jugendverbänden und dem Berliner U18-Netzwerk. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie die Bundeszentrale für Politische Bildung unterstützen dieses Projekt.
Allem voran ist die U18-Wahl ein Projekt der politischen Bildung. Ein Ziel ist, jungen Menschen einen Zugang zum Thema Politik und Wahlen anzubieten. Ein weiteres Ziel ist, die Gesellschaft zu sensibilisieren, Kinder und Jugendliche als politisch interessierte Menschen mit einer Stimme anzuerkennen. Bei der U18-Wahl machen junge Menschen ihre Stimme sichtbar und setzen sich im Rahmen politischer Bildungsarbeit mit Wahlen auseinander.
Durch die U18-Wahl kann zudem ein positiver “Spiraleffekt” zwischen Politiker:innen und der Jugend entstehen: Die U18-Wahlergebnisse können ein Anlass für Politiker:innen sein, sich wieder mit den Interessen der Jugend zu befassen, die dadurch jüngeren Themen würden die Politik attraktiver für die Jugend machen, Jugendliche würden sich mehr mit Politik beschäftigen und dies Politiker:innen rückmelden, die sich ihrerseits wiederum mit den Themen der Kinder und Jugendlichen auseinandersetzen, so das U18-Wahlkonzept. Die U18-Wahl kann also eine Brücke sein um Politik und Jugend zu verbinden und bietet einen Gesprächsanker.
Wahlrecht bedeutet Teilhabe
Die Interessen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ins politische Bewusstsein zu rücken, das ist das Ziel der eigenständigen Jugendpolitik. Die U18-Wahlen als Projekt der politischen Jugendbildung in Deutschland sind eng mit dem Thema der Wahlalterabsenkung verbunden. Die U18-Wahl zeihgt: Junge Menschen wollen wählen. Junge Menschen können und müssen im politischen Geschehen mitgedacht werden. Mit der Absenkung des Wahlalters könnte die Jugend als Wahlberechtigte die Demokratie stärken. Wahlrecht bedeutet Teilhabe und politische Beteiligung. Der Bayerische Jugendring (BJR) koordiniert die U18-Wahl in Bayern. Und fordert seit 2005 eine Absenkung des aktiven Wahlrechts auf das 14. Lebensjahr von der Kommunal- bis zur Europawahl. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend setzt sich für die Wahlalterabsenkung auf 16 Jahre ein.
Historisch gesehen ist das Wahlrecht nicht statisch, wie auch der BJR ausführt: So gibt es das Frauenwahlrecht erst seit 100 Jahren. Heute ist es vor allem an die Volljährigkeit geknüpft, die mit 18 Jahren beginnt. Bis 1975 noch (auf dem Gebiet der früheren BRD) bzw. bis 1950 (in der DDR) waren junge Menschen erst ab dem Alter von 21 Jahren volljährig und wahlberechtigt. In Bundesländern wie Niedersachsen können heute bereits 16-Jährige bei der Kommunalwahl ihre Stimme abgeben. Das Wahlalter wandelt sich also – ganz so, wie die Gesellschaft selbst.
Die U18-Wahl zeigt, dass Kinder und Jugendliche in den ungefähren Stimmverteilungen ein ähnliches Wahlverhalten zeigen wie die wahlberechtigte Bevölkerung. Damit ist ein Vorurteil widerlegt, das oft als ein Argument gegen das Absenken des Wahlalters angeführt wird: Das Vorurteil, dass Kinder und Jugendliche zu extremeren Positionen neigen würden.
Klimakrise – Das Thema brennt, erst recht für die Jugend
Eher liegt die gegenteilige Vermutung nahe, dass eine Absenkung die Jugend früh in ihre Verantwortung als mündige Bürger:innen einführen und sie mit ihrer Stimme ernst nehmen würde. Zudem würde sich der Anteil der Erstwähler:innen erhöhen, denn 2021 ist dieser Anteil mit 2,8 Millionen Erstwähler:innen und somit 4,6 Prozent aller Wahlberechtigten so gering wie lange nicht mehr, so die Forsa-Umfrage. Betrachtet man den Anteil der Menschen zwischen 18 und 35 Jahren, die in Deutschland wahlberechtig sind, fällt auf, wie gering er ist: Von insgesamt 60,4 Millionen Wahlberechtigten sind es gerade mal 8,4 Millionen. Durch den demografischen Wandel nimmt der Anteil junger Wahlberechtigter weiter ab und die Generation über 65 Jahren wird prozentual größer. Hieraus könnte eine Ungleichheit in den politischen Fokusthemen entstehen: Ein klares Jugendthema ist der Forsa-Umfrage zufolge unter den Erst-Wähler:innen die Klimakrise. 60 Prozent der jungen Befragten sehen hier einen politischen Fokus, in der Gesamtbevölkerung ist es nur ein Viertel. Die Klimakrise ist aber kein Jugendthema, sondern ein Thema für alle. Es braucht eine lebenswerte Zukunft für alle.
Julia Wunderlich, Studienleiterin für Jugendpolitik & Jugendbildung – Junges Forum
Quellen:
– Ergebnisse der U18-Wahl zur Bundestagswahl 2021
– Bayerischer Jugendring: Junge Menschen haben ihre Stimme schon abgegeben
– Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Rekord-Wahlbeteiligung bei U18-Bundestagswahl
INFOKASTEN
Zwei Wahlsimulationen: Die Juniorwahl und die U18-Wahl
Nach der U18-Wahl findet, parallel zur regulären Bundestagswahl, an allen Schulen die Juniorwahl statt. Warum gibt noch eine weitere eine Wahl für die Jugend? Beide Wahlen sind Wahlsimulationen. Die außerschulische politische Jugendbildung pusht und organisiert die U18-Wahl, der Hauptorganisator ist der Deutsche Bundesjugendring. Da die U18-Wahl neun Tage vor der Bundestagswahl stattfindet, sollen ihre Ergebnisse appellativ wirken, damit politische Interessen der Jugend mitgedacht werden aber auch um Erkenntnisse darüber zu haben, wie sich die Stimmen der nicht wahlberechtigten Jugend auf die Bundestagswahl auswirken würden.
Die Juniorwahl findet nur an Schulen statt. Die Ergebnisse werden gleichzeitig zur Bundestagswahl ausgezählt und können somit nicht vorab mit ihrem symbolischen Wahl-Charakter auf die Politik wirken. Der Deutsche Bundestag, des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und die Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt die Schulen bei der Teilnahme am Projekt der Juniorwahl.
Auch in der Altersstruktur unterscheiden sich die beiden Wahlen, so gilt das Wahlrecht bei der Juniorwahl ab der Jahrgangsstufe 7. Ziel ist auch hier die Simulation des Wahlvorgangs, der politische Bildungsprozess durch die Auseinandersetzung mit dem Wahlsystem und eine Vorbereitung auf die eigene Beteiligung im politischen System. Die Juniorwahl wird seit 1999 bundesweit zu allen Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen durchgeführt mit mittlerweile 3,8 Millionen beteiligten Jugendlichen. Die Juniorwahl ist eins der größten Schulprojekte in Deutschland.
Bild: Julia Wunderlich (Foto: ma/eat archiv)
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