Uncategorized

Demokratie heißt digitale Barrierefreiheit!

Bald digital zu wählen, klingt für viele einfach. Die Zunahme von Online-Events und digitalisierten Abläufen erschwert die Teilhabe aber für die Menschen, die Probleme mit der Technik haben. Damit wird der ursprüngliche Gedanke ad absurdum geführt, mehr Menschen an Politik und am  gesellschaftlichen Leben über Online-Wege teilhaben zu lassen. Technik als Tor zur Partizipation funktioniert nur, wenn sie für alle zugänglich ist.

 

von Domingos de Oliveira

Digitale Barrierefreiheit heißt, dass Webseiten, Apps und andere Inhalte so gestaltet werden, dass sie für Menschen mit Behinderung ohne Probleme nutzbar sind.

Digitale Barrierefreiheit wird nach wie vor vielfach als Nischenthema gesehen. Wenn wir aber darüber nachdenken, fällt uns immer eine Person aus unserem Bekanntenkreis ein, die darauf angewiesen wäre oder davon profitieren würde: Der Großvater, der mit seinen Enkeln chatten kann, die gehbehinderte Frau, die ihre Einkäufe online erledigt oder der Kollege, der seinen Rücken dabei ruiniert, wenn er sich zu nah an den Bildschirm beugt, weil er die Symbole nicht mehr erkennen kann. Menschen mit Behinderung sind auf Barrierefreiheit angewiesen, aber fast alle profitieren von einer barrierefreien digitalen Umgebung.

Keine digitale Barrierefreiheit ohne Demokratie

In allen politischen Systemen jenseits der Demokratie werden die Menschen bevormundet. Oft mit einer paternalistischen, wohlwollenden Attitüde, aber in jedem Fall bevormundet.

Dies gilt insbesondere für Menschen mit Behinderung. Nur in der Demokratie sind wir in der Lage, uns offen und frei zu äußern und eine Öffentlichkeit für unsere Situation zu gewinnen. Nur in der Demokratie können wir auch die Regierung und die öffentlichen Stellen kritisieren, unsere Rechte einklagen und auch Recht bekommen. Das ist ein Grund dafür, warum es in vielen nichtdemokratischen Staaten eher schlecht um die digitale Zugänglichkeit steht.

Mangelnde Barrierefreiheit verringert Chancen

Leider sind in allen politischen Gremien sowie in den Parteien die Minderheiten unterrepräsentiert – dazu gehören auch Menschen mit Behinderung. Das liegt auch an mangelnder Barrierefreiheit: Es gibt kaum barrierefreie Besprechungen, barrierefreie Dokumente, Gebärdensprache, Leichte Sprache oder andere Hilfsmittel. Damit werden viele Menschen indirekt von der Zusammenarbeit in politischen Gremien ausgeschlossen. Das heute viele Veranstaltungen und Prozesse online stattfinden, hat die Situation teilweise sogar schwieriger gemacht für Menschen, die Probleme mit der Technik haben.

Für die Lebendigkeit und Repräsentativität der Demokratie ist es aber wichtig, dass Menschen aus allen Schichten und mit unterschiedlichen Hintergründen in den politischen Gremien präsent sind und sich aktiv einbringen können. Das erhöht die Legitimation der Entscheidungen und sorgt für eine höhere Akzeptanz in diesen Gruppen.

Es bringt aber auch neben der Legitimität einen anderen Vorteil: Wenn Menschen mit Behinderung präsent und beteiligt sind, wird das Thema digitale Barrierefreiheit automatisch mitgedacht. Schon durch ihre Anwesenheit, vielmehr aber auch durch ihre aktive Beteiligung bringen sie diese Themen zur Sprache.

Keine Demokratie ohne digitale Barrierefreiheit

Digitale Technik ermöglicht ein hohes Maß an Teilhabe: Kommunikation mit Freund:innen, Online-Aktivitäten oder Behörden-Angelegenheiten werden immer stärker online stattfinden. Die Technik ist dabei auch das Tor zur politischen Partizipation. Wer die Technik nicht nutzen kann, kann sich nur schwer online informieren. Noch schwieriger ist die Beteiligung an digitalen Abstimmungs-Prozessen, die in den nächsten Jahren immer wichtiger sein werden.

 

Zum Autor:
Domingos de Oliveira ist Politikwissenschaftler, von Geburt an blind und einer der wenigen Expert:innen zum Thema der digitalen Barrierefreiheit in Deutschland. Er arbeitet als freiberuflicher Redakteur und Berater für Barrierefreiheit und gibt Schulungen zur Sensibilisierung für Herausforderungen von Menschen mit Behinderung und zur Unterstützung von Organisationen in der Optimierung ihrer digitalen Barrierefreiheit, Bonn. Mehr über die Arbeit von Domingos de Oliveira hier.

 

Hinweis:
Domingos de Oliveira ist einer der Referierenden unserer Tagung “Digitalethik & junge politische Philosophie”. Sie findet vom 2. bis 4. Dezember 2022 im Jungen Forum der Evangelischen Akademie Tutzing statt – in Kooperation mit Philosophy & Economics-Studierenden der bayreuther dialoge der Uni Bayreuth. Die Tagung ist für Studierende, Young Professionals und Schüler:innen. Infos zu Programm und Anmeldemodalitäten sind hier abrufbar.

 

 

Dieser Beitrag ist zugleich die Gastkolumne im November-Newsletter der Evangelischen Akademie Tutzing. Mehr dazu hier.

 

Foto: Domingos de Oliveira

Tags: , , , ,

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Unsere Regeln zum Kommentieren finden Sie hier.

*