Postfossil

Wie kommt Ethik in die Wirtschaft?

von Prof. Randolf Rodenstock

 

Die Antwort lautet: Sie ist längst da. Für mich steht außer Frage, dass ethisches Handeln ein zentraler und selbstverständlicher Teil unseres Wirtschaftslebens ist.

Das ergibt sich schon aus dem gesellschaftlichen Auftrag des Unternehmers. Er besteht darin, Waren und Dienstleistungen zu einem fairen Preis anzubieten und damit die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Darüber herrscht bei uns allerdings ein fundamentales Missverständnis: Immer wieder ist zu hören, dass es zur sozialen Verantwortung der Unternehmer gehöre, Arbeitsplätze zu schaffen. Dies ist jedoch ein nachgeordneter – wenn auch durchaus wünschenswerter – Effekt, der aus der eigentlichen Raison d’ Être folgt.

Natürlich ist es nicht gleichgültig, auf welche Weise das Unternehmen Waren herstellt oder Dienstleistungen anbietet – gesellschaftliche Schäden sollen nach Möglichkeit ausgeschlossen werden. Darüber hinaus müssen im Produktionsprozess auch die Erwartungen und Interessen aller Stakeholder berücksichtigt werden: Verbraucher, Lieferanten, Kapitalgeber – sie alle wirken auf die unternehmerischen Entscheidungsprozesse ein. Ihre Bedürfnisse müssen laufend miteinander in Einklang gebracht werden. Dabei spielen immer auch ethische Maßstäbe eine Rolle.

Mit wachsendem Wohlstand ist in unserer Gesellschaft eine gewisse Sättigung mit materiellen Gütern eingetreten. Die meisten Menschen in den Industrienationen verfügen über Autos, Einrichtungsgegenstände, Haushaltgeräte, Unterhaltungselektronik und über vieles mehr, was zum Leben nötig ist und was es angenehmer macht. Heute richten sich die Erwartungen der Verbraucher mehr und mehr auf immaterielle Güter. Es reicht nicht, wenn ein Unternehmen seine Waren gut und günstig anbietet, die gesamte Wertschöpfungskette wird in den Blick genommen: Die Produkte sollen nach Möglichkeit nachhaltig sein und ressourcenschonend hergestellt werden, die Arbeitnehmer sollen einen fairen Lohn erhalten.

Unternehmensphilosophie – ein wichtiges internes Steuerungsinstrument

Für den langfristigen Erfolg einer Firma spielt heute die Unternehmensphilosophie eine entscheidende Rolle. Es ist notwendig, als Unternehmer nach impliziten, ethischen Leitlinien und als persönliches Vorbild zu handeln – doch das allein reicht nicht aus. Vielmehr wird in den meisten Unternehmen eine transparente Wertebasis systematisch und methodisch aufgebaut und in Form von expliziten Unternehmensleitlinien kommuniziert. Sie sind ein wichtiges internes Steuerungsinstrument. Denn sie geben den Handelnden Orientierung in einer komplexen Welt, die maßgeblich von den Bedingungen der Globalisierung bestimmt wird. Von den drei Ebenen der Unternehmensführung – der operativen, der strategischen und der normativen – ist die normative sehr viel wichtiger geworden. Zu ihr gehören Werte, Ethik, Visionen und Regeln. All das wird neudeutsch als Corporate Social Responsibility (CSR) bezeichnet.

Mittlerweile ist es für die meisten Firmen keine Frage mehr, ob CSR gemacht wird, sondern wie. Allerdings besteht die Gefahr, dass ein solches Engagement, wenn es nicht auch in der Unternehmensphilosophie verankert ist, als „Greenwashing“ missverstanden wird. Ein weiteres Problem: Nach wie vor sehen wir eine relativ geringe „Customer Social Responsibility“: Nur wenige Kunden und ausgewählte Käuferschichten sind bereit, für nachhaltige Produkte einen höheren Preis zu zahlen. Dabei kann die Nachfrageseite ganz wesentliche Impulse setzen und ein entsprechendes Angebot einfordern.

Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers bezieht sich aber nicht nur auf sein Unternehmen, seine Lieferanten, Mitarbeiter und Kunden. Ethik endet nicht am Fabriktor. Heute sind Firmenbosse und Wirtschaftsmanager aufgerufen, zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen – ob auf Betriebsversammlungen, in Fernsehtalkshows oder in den sozialen Netzwerken. Denn wir erleben, dass das Vertrauen in die demokratischen Institutionen schwindet. Kritik an der Marktwirtschaft ist weit verbreitet. Nationalistische und protektionistische Bewegungen finden fast überall in Europa Zulauf. Der starke Staat soll es richten, so lautet die Philosophie der 2010er Jahre.

Die Pflicht, Position zu beziehen

Vor diesem Hintergrund scheint es mir eine Pflicht der Wirtschaftseliten zu sein, ihre Führungsverantwortung auf gesellschaftliche Belange auszuweiten und in der Öffentlichkeit Position zu beziehen. Bisweilen wird das zwar eingefordert – wenn Firmenlenker beispielsweise zu Menschenrechtsverletzungen schweigen, werden sie dafür heftig kritisiert. Seltener aber verlangt man von ihnen, vor der eigenen Haustür zu kehren und die politische Kultur ihres Landes mitzugestalten.

Indem sich Führungskräfte der Wirtschaft an politischen Debatten beteiligen, können sie auch dazu beitragen, Vorbehalte gegenüber ihrer Zunft abzubauen. Diskursverantwortung zu übernehmen ist entscheidend, weil Marktwirtschaft nicht in einem politikfreien Raum geschieht. Beide, Demokratie und Marktwirtschaft, gehören zusammen und bedingen sich gegenseitig. Die Politik setzt den Ordnungsrahmen für die Wirtschaft.

Dabei sollte der Staat seine Rolle sehr restriktiv auslegen und Eingriffe in den Wettbewerb und in die unternehmerische Freiheit auf ein Mindestmaß beschränken. Leider ist diese Haltung heute unpopulär. Obwohl es uns wirtschaftlich gut geht wie nie zuvor, ist es nach verbreiteter Auffassung die Aufgabe des Staates, den angeblichen „Raubtierkapitalismus“ zu zähmen und die marktwirtschaftliche Ordnung außer Kraft zu setzen.

Marktwirtschaft hat eine hohe moralische Qualität

Es wird unterstellt, dass die Marktwirtschaft als solche eigentlich unmoralisch ist und aus ethischen Gründen permanent korrigierender politischer Eingriffe bedarf. Tatsächlich haben Märkte aufgrund ihrer Wohlfahrtswirkungen, die Wettbewerb und Gewinnstreben unter geeigneten Rahmenbedingungen mit sich bringen, eine hohe moralische Qualität. Den ethischen Eigenwert unserer Wirtschaftsordnung fasst der Wirtschaftsethiker Karl Homann so zusammen: „Die Marktwirtschaft mit Gewinnstreben und Wettbewerb ist unter den Bedingungen der modernen Welt das beste bisher bekannte Instrument zur Verwirklichung der Solidarität aller Menschen!“

Zu Recht wird darum eine Rückbesinnung auf das Fundament der Sozialen Marktwirtschaft gefordert: „Eine Moral, die dabei die Sachkenntnis der Wirtschaftsgesetze überspringen zu können meint, ist nicht Moral, sondern Moralismus, also das Gegenteil von Moral.“ (Josef Kardinal Ratzinger).

Wir müssen stärker darin werden, die ethischen Vorzüge unserer Sozialen Marktwirtschaft klar zu kommunizieren. Und wir müssen unsere Wirtschaftsordnung fit für die Herausforderungen der Zukunft machen. Damit unser Wirtschaftsleben ethisch bleibt.

Der Autor ist Vorstandsvorsitzender des Roman Herzog Instituts und Honorarprofessor an der TU München.

Hinweis:
Prof. Randolf Rodenstock ist am 7. Mai 2019 während der Tagung „Management der Moral“ als Redner zu Gast an der Evangelischen Akademie Tutzing. Weitere Informationen hier.
Vorliegender Beitrag ist Gastkolumne der Mai-Ausgabe des Newsletters der Evangelischen Akademie Tutzing, die am 30. April 2019 erscheint. Nähere Informationen hier.

Luise Klemens, Landesbezirksleiterin der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft in Bayern, hat auf vorliegenden Beitrag von Prof. Rodenstock reagiert. Ihre Antwort auf die Frage „Wie kommt die Ethik in die Wirtschaft“ können Sie hier nachlesen.

Bild: Randolf Rodenstock (Foto: Roman Herzog Institut e.V)

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