Von Prof. Dr. Franz Ruland
Deutschland steht erneut vor schwierigen rentenpolitischen Entscheidungen. Ab Mitte der 20-Jahre geht die Baby-Boomer-Generation in Rente. Der Altenquotient, das Verhältnis von Personen über 65 Jahren zu Personen im Alter von 20 bis 64 Jahren, wird deutlich ansteigen, wie stark, hängt auch von anderen Faktoren ab: u.a. von dem weiteren Zuwachs der Lebenserwartung, der Fertilität, der wirtschaftlichen Entwicklung, der Beschäftigung insbesondere von Frauen und Älteren und der Höhe der Zuwanderung. Aber all diese Faktoren können den Trend, dass unsere Bevölkerung altert, nur verlangsamen, im Ausmaß modifizieren, aufhalten oder stoppen können sie ihn nicht. Das Älterwerden unserer Gesellschaft ist eine Herausforderung für alle Alterssicherungssysteme, sowohl für die Rentenversicherung als auch die Beamtenversorgung, aber auch für die privaten Sicherungssysteme, wie betriebliche Altersversorgung und Lebensversicherungen. Dass unsere Gesellschaft altert, wird, wie auch immer wir darauf reagieren werden, seinen Preis haben; die Politik muss entscheiden, wer ihn zu bezahlen hat.
Eine nachhaltige Rentenpolitik muss daher Vorsorge treffen, gegensteuern. Dazu muss sie wissen, wie die demografische Entwicklung verläuft und welche Auswirkungen sie auf die Alterssicherungssysteme hat. Wenn sie sich zum Handeln entschließt, muss sie rechtzeitig ihre Entscheidungen treffen, denn die meisten rentenpolitischen Entscheidungen brauchen wegen des Vertrauensschutzes der Betroffenen lange Vorlaufzeiten. Das Problem aber ist, dass die Zukunft nicht in einer eindeutig vorhersehbaren Bahn verlaufen wird. Die Politik sollte daher mit Korridoren planen, die günstige und ungünstige Annahmen bündeln, in der Erwartung, dass die tatsächliche Entwicklung innerhalb dieses Korridors verbleibt. Die jetzt notwendigen Entscheidungen der Politik müssen daher auf zu erwartende, im Ausmaß aber nicht genau bestimmbare gesellschaftliche Trends flexibel reagieren können. Deshalb wäre z.B. von einer zu starren Anhebung der Regelaltersgrenze abzuraten, weil für 20 und mehr Jahre im Voraus nicht gesagt werden kann, wie sich die Rahmenbedingungen entwickeln werden und wo genau es notwendig wird, die Altersgrenze festzusetzen. Deshalb gewinnt der Vorschlag immer mehr Zustimmung, den Anstieg der Altersgrenze in einem zu bestimmenden Verhältnis an die Entwicklung der Lebenserwartung zu koppeln.
Nachhaltigkeit – statt parteipolitischem Missbrauch
Eine nachhaltige Rentenpolitik braucht eine langfristige Strategie. Da seit langem bekannt ist, dass die demografischen Veränderungen die Alterssicherung vor große finanzielle Probleme stellen werden, wäre es notwendig gewesen, alles zu unterlassen, was diese Probleme vergrößert. Da alle Altersicherungssysteme auf welchem Wege auch immer von den nachfolgenden Generationen finanziert werden müssen, die im Vergleich zu heute ohnehin nur noch ein geringeres Sicherungsniveau erwarten können, hätte es die Generationengerechtigkeit gefordert, sie nicht noch mehr zu belasten. Geschehen ist genau das Gegenteil. Die große Koalition hat mit der zweimaligen Ausweitung der „Mütterrenten“, der „Rente mit 63“, der vorgezogenen Angleichung der Renten in den neuen Bundesländern und der Garantie des Sicherungsniveaus für die heutigen Rentner Entscheidungen getroffen, die die nachfolgenden Generationen auf Jahrzehnte zusätzlich belasten werden. Mit der „Grundrente“ plant die Bundesregierung eine weitere, sehr teure Neuerung. Auch sie ginge zulasten der Jüngeren und es ist erstaunlich, dass ihr Protest ausbleibt. Es ist unverantwortlich, dass es dem Bundesarbeitsminister bei der Grundrente nur darauf ankommt, möglichst viele zu beschenken, unabhängig davon, ob sie die Leistung überhaupt brauchen. Die Rentenpolitik wird parteipolitisch missbraucht, statt nachhaltig zu sein.
Nachhaltige Rentenpolitik braucht in Zeiten, in denen die sich aus der Alterung unserer Bevölkerung ergebenden zusätzlichen Kosten zu verteilen sind, Mut. Steigende Beiträge, ein sinkendes Sicherungsniveau oder eine ansteigende Regelaltersgrenze – alle diskutierten Maßnahmen sind unpopulär und kosten Wählerstimmen. Das Mittel dagegen ist die nachvollziehbare Gerechtigkeit der Vorschläge. Sie müssen die Lasten ausgewogen auf die verschiedenen Generationen verteilen und dürfen auch – soweit nicht Vertrauensschutzgründe entgegenstehen – die jetzige Rentnergeneration nicht außen vor lassen. Sie müssen berücksichtigen, dass die Rente auch in ihrer Höhe eine Gegenleistung für die eingezahlten Beiträge ist, ein Aspekt, der, wenn die Beiträge weiter steigen, umso mehr Beachtung verdient. Sie dürfen die Versicherten nicht weiter mit nicht beitragsgedeckten Leistungen belasten. Soweit sie – etwa um Altersarmut zu verhindern – notwendig sein sollten, sind sie aus Steuermitteln zu finanzieren, damit sich alle entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit an diesen Kosten zu beteiligen haben. Je früher die Maßnahmen ergriffen werden, desto länger können notwendige Übergangsfristen sein. Zur Gerechtigkeit gehört auch, dass die Vorschläge systemadäquat auf die Beamtenversorgung übertragen werden.
Die Regierung sollte „reinen Wein einschenken“
Die Vorschläge sind umso besser, je sachkundiger sie sind. Damit steigt zugleich ihre Akzeptanz. Sie durch sachkundige Kommissionen vorbereiten zu lassen, ist ein immer wieder gewählter Ansatz. Dass die jetzige Koalition ihre Rentenkommission ganz überwiegend mit (zum Teil ehemaligen) Politikern aus ihren Reihen besetzt hat, zeigt, dass sie keine ihr unangenehmen Vorschläge vorgelegt bekommen will. Das mindert die Akzeptanz der Vorschläge, denn nach allem, was wir wissen, wird das Ausmaß der Probleme politisch unangenehm sein, es zwingt zu unpopulären Maßnahmen. Deshalb ist es wichtig, dass es zu diesen Vorschlägen Alternativen gibt, über die diskutiert werden kann.
Wichtig vor allem ist, dass die Politik die Bevölkerung „mitnimmt“, dass sie auf die künftigen Probleme und auf die Notwendigkeit, zu handeln, hinweist. Dies geschieht derzeit fast gar nicht. Es würde dann nämlich deutlich, wie sehr die keine Ausgaben scheuende Rentenpolitik der Koalition zu Lasten der jüngeren Generationen geht. Wenn die Politik die Altersgrenze für jetzt rentennahe Versicherte auf 63 Jahre absenkt, kann man der Bevölkerung eine Notwendigkeit, Altersgrenzen heraufzusetzen, nicht erklären. Da muss die Politik endlich Vernunft annehmen. Sie muss der Bevölkerung sagen, welche Konsequenzen ein Festhalten am status quo für den Beitragssatz und für das Sicherungsniveau haben wird. Sie wird einräumen müssen, dass eine Verlängerung der 2019 beschlossenen Haltelinien für den Beitragssatz und das Sicherungsniveau über 2025 hinaus unbezahlbar sein wird. Sie wird auch die Hoffnung enttäuschen müssen, dass eine Einbeziehung von Beamten und Selbständigen in die Rentenversicherung die Probleme lösen könnte. Beides wäre für die Rentenversicherung eher eine Belastung als eine Entlastung. Mangels anderer geeigneter Alternativen wird die Politik um Verständnis dafür werben müssen, dass sie an einer Anhebung der Altersgrenzen nicht vorbeikommt, weil nur sie die finanziellen Rückwirkungen des weiteren Anstiegs der Lebenserwartung effektiv mindern kann; dass es aber sinnvoll ist, die Anhebung an die weitere Entwicklung der Lebenserwartung zu koppeln. Wenn die Politik das nicht immer wieder kommuniziert, wenn sie sich weiter scheut, der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken, dann läuft sie Gefahr, dass es auch bei uns – erstmals – zu Protesten gegen die Rentenreform kommt. Die Politik sollte zudem versuchen, die notwendige Reform nicht aus parteitaktischen Gründen zu zerreden. Je größer der parteiübergreifende politische Konsens ist, desto größer ist dann auch die Akzeptanz der Reform in der Bevölkerung. All das müsste die Politik verpflichten, bei dieser Reform die sachlichen Argumente in den Vordergrund zu stellen und Parteipolitik hintanzustellen. Dass es so kommt, ist wenig wahrscheinlich, bei der Blümschen Reform 1989/1992 ist es aber dank guter Vorbereitung weitgehend gelungen.
Prof. Dr. Franz Ruland ist Jurist. Er war von 1992 bis 2005 Geschäftsführer des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger sowie von 2009 bis 2013 Vorsitzender des Sozialbeirats.
Gemeinsam mit Dr. Ulrike Haerendel (Evangelische Akademie Tutzing) leitet Franz Ruland vom 12. bis 14. Februar die Tagung „Die Rentenpolitik vor Zukunftsentscheidungen“ in der Evangelischen Akademie Tutzing. Informationen zum Programm, zu den Referierenden und Anmeldemodalitäten können Sie diesem Link entnehmen.
Hinweis:
Dieser Blogbeitrag ist zugleich aktuelle Gastkolumne im Februar-Newsletter der Evangelischen Akademie Tutzing, der am 31. Januar erscheint. Weitere Informationen hier.
Bild: Prof. Dr. Franz Ruland (Foto: privat)
Bft., anno domini 31.01.20
Sehr geehrter Herr Ruland,
ich antworte Ihnen als BETROFFENER ( “GRUSI” u. Rentner seit 4 Jahren ).
Von einem langjährigen Vorstandsmitglied der DRV hätte ich etwas mehr Kenntnisse und Selbstbewusstsein erwartet.
Sie mixen mal wieder alles bunt durcheinander, Hauptsache es hört sich “gepflegt” an. Die FEHLER der Blüm’schen Reform werden genauso unter den Teppich gekehrt wie der Skandal, die dt. Vereinigung ( u. das nachfolgende Treuhand-Desaster ) maßgeblich auf dem Buckel der Sozialversicherung auszutragen, die Mini-Reförmchen von 2018 u. das Grundrenten-Experiment von 2019, das noch 2020 zum Abschluss kommen soll. Außer ANHEBUNG des RENTEN-Eintrittsalters u. Beitragserhöhungen fällt Ihnen nichts Vernünftigeres ein ? Da fehlt bloß noch der Wunschgedanke von W. Riester, es sei ein fatales Versäumnis gewesen, alle Arbeitnehmer zum ( verfassungswidrigen ! ) Zwangs-Riester-Sparen zu verpflichten ! Oder wie wär’s damit, dass zukünftige Beitragssteigerungen ALLEIN von den Arbeitnehmern zu tragen sind ? Sollte die Lebenserwartung auf ca. 90 Jahre steigen, möchten sie also das Renteneinstiegsalter auf 80 erhöhen ? Auf welcher INSEL leben Sie denn ?
Ich empfehle Ihnen DRINGEND, mal die ausführliche Literatur ( inkl. aller Rohdaten ! ) über das Rentenmodell-AUSTRIA durchzuarbeiten !
Wenn Sie dabei Unterstützung brauchen, schenke ich Ihnen gerne mein KOMPENDIUM ( DVD ) zu den Rentensystemen ( ich setze mich schon seit 10 Jahren intensiv mit der Grundsicherung u. den Rentensystemen auseinander u. habe KEINEN IDEOLOGISCHEN PARTEI-RUCKSACK auf dem Buckel ! ).Setzen Sie sich lieber mit einer grundsätzlichen HARTZ-REFORM auseinander, dann wird daraus auch ein arbeitsmarkt- u. sozialpolitischer Entlastungseffekt entsehen ( u. den Betroffenen geht’s dann persönlich besser ! )
Eine visionärer, revolutionärer Reformansatz könnte aber auch sofort für einen erneuerten soliden demokratischen Unterbau unserer Gesellschaft sorgen : Beschaffen Sie bitte allen Niedriglöhnern u. Armutsrentnern div. BERATERVERTRÄGE ( wie wir sie von den bescheidenen Spitzenpolitikern, auch nach dem Austritt aus dem BT kennen ! ), dann nähern wir uns dem PARADIES ( auch ohne den Segen u. dem Weihrauch der Klerikalen ) !
Dann können sie den NIEDRIGLOHNBEREICH mitsamt den MINI-JOBS ( u. die restlichen 1-Euro-Jobs ? ) in die Mülltonne stampfen.
Auf ein INDIANER-EHRENWORT, das wäre spitze !
Dies ist gleichzeitig mein WORT zum SONNTAG ! Möge es auf fruchtbaren Boden fallen u. gedeihen.
SALVE !
Jo.Ri.
( einer der letzten oberschwäbischen Schussentäler PREKARIATS-MOHIKANER )
Meine Mutter hat immer betont, wie wichtig es ist, frühzeitig alternative Anlageformen für die Rente in Betracht zu ziehen, um finanziell unabhängiger im Alter zu sein. Auch sie hat die Sorge, dass die aktuellen Rentensysteme zukünftige Generationen belasten werden und es notwendig ist, Maßnahmen zu ergreifen, die die Lasten auf alle Generationen verteilen. Es ist bedenklich, dass politische Entscheidungen oft auf kurzfristige Wählerstimmen ausgerichtet sind, anstatt langfristige, nachhaltige Lösungen zu finden. Ich stimme dem Artikel zu, dass eine ausgewogene Verteilung der Lasten und eine nachhaltige Strategie in der Rentenpolitik von großer Bedeutung sind. Alternativen wie private Vorsorge oder Investitionen in nachhaltige Anlageformen sollten von der Politik stärker gefördert werden, um die finanzielle Sicherheit im Alter zu erhöhen.