Himmel & Erde

Mitgefühl statt Hassrede

Vor ziemlich genau einem Jahr, am 6. März 2015, sorgte der Rücktritt von Markus Nierth, Ortsbürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt, bundesweit für Schlagzeilen. Sechzig Flüchtlinge sollten in der Gemeinde untergebracht werden. In einem Brief an seine Bürger spricht der Bürgermeister offen über die eigenen Ängste vor einer möglichen Überforderung des sozialen Gefüges, zugleich ermutigt er die Tröglitzer, diese Herausforderung anzunehmen und zusammenzustehen. Eine angemeldete Demonstration direkt vor seiner privaten Haustür gibt dann den Ausschlag: Nierth tritt von seinem Amt zurück.

Ortswechsel: Auch im Reutlinger Ortsteil Oferdingen ist ein Bürgermeister nach Anfeindungen und Drohungen zurückgetreten. Ralph Schönenborn hatte sich für den Bau einer Unterkunft für 76 Flüchtlinge eingesetzt. Drohungen per Brief und auf dem Anrufbeantworter waren der Anstoß für seinen Rücktritt.

Und nochmal Ortswechsel – nach Zorneding bei München. Es geht wieder um einen Rücktritt – diesmal um den eines katholischen Geistlichen. Nach mehreren Morddrohungen und rassistischen Beschimpfungen verlässt der aus dem Kongo stammende Pfarrer Olivier Ndjimbi-Tshiende seine Gemeinde. Die Anfeindungen gegen ihn hatten bundesweit für Aufsehen gesorgt: Im vergangenen Herbst schon kritisierte der Pfarrer die örtliche CSU wegen flüchtlingsfeindlicher Äußerungen. Seither war er rassistischen Anfeindungen und Morddrohungen ausgesetzt.

Die genannten Fälle lösten und lösen Betroffenheit aus, Solidaritätsbekundungen – vor allem aber die Frage: Wohin soll das noch führen? Schon seit längerem ist zu spüren, dass es auch in unserer Gesellschaft eine Klimaveränderung gibt – und zwar eine geistige. Manche Debatte um diese oder jene Herausforderung, vor der wir in Deutschland stehen, leidet unter einem Niveauverlust – inhaltlich wie sprachlich. Das war auch schon so, noch ehe das Thema Flüchtlinge die Tagespolitik bestimmte. Inzwischen ist es offensichtlich, dass genau dieses Thema die Gesellschaft zu spalten scheint. Und zwar so stark, dass ein Gespräch kaum mehr stattfindet, ja, vielleicht sogar kaum mehr möglich ist? Im Moment jedenfalls sind es vor allem die Diskursverweigerer, die den Ton angeben: Sie sorgen für mediale Aufmerksamkeit und prägen als Scharfmacher, Pöbler und geistige Brandstifter das Bild.

Hatespeech, Hassrede, herrscht längst nicht mehr nur in Onlineforen vor, sie wird scheinbar zunehmend salonfähig. Diese Hassredner dem viel zitierten Verein für deutliche Aussprache zuzurechnen, käme einer Verniedlichung des Problems gleich. Geht es ihnen doch um Aussagen, die bewusst die Ausgrenzung oder Benachteiligung von bestimmten Personen oder Gruppen herbeiführen wollen und Gewalt gegen diese billigend in Kauf zu nehmen scheinen. Hier ist längst die Grenze überschritten, die ein „so nicht!“ und im Lichte der historischen Erfahrung sogar ein „nie wieder!“ verlangt. Keine Toleranz für die Intoleranz.

„Alles nun, was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!“ – ein berühmt gewordenes Wort Jesu aus der Bergpredigt. Der Volksmund macht daraus: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu.“ Jesus setzt übrigens noch hinzu: „Das ist das Gesetz und die Propheten.“ Im Klartext: Die Quintessenz der Bibel.

Die selbsternannten Retter des Abendlandes haben mit ihren Hassreden, die als Kritik oder Sorge verbrämt daherkommen, längst Maß und Ziel verloren. Dass die Verrohung der Sprache zu einer Verrohung des Menschen führen kann, hat der Nationalsozialismus gezeigt. Morddrohungen sind kein Kavaliersdelikt.

Worauf es eigentlich ankommt, hat der kongolesische Pfarrer aus Zorneding 2012 bei seiner Vorstellung in der Gemeinde treffend formuliert:  „Die schwierigste Aufgabe des Menschen als solchem scheint wohl dies zu sein: Verstehen und verstanden werden (…) Wo Menschen sind, entstehen auch Probleme, diese sind mit der Vernunft zu lösen, Emotionen lassen eher die Lage explodieren.“ Mit anderen Worten: Mehr Empathie ist nötig: das Vermögen und der Wille, sich in sein Gegenüber einzufühlen.

Unsere Demokratie lebt von diesem Mitgefühl und der daraus entstehenden Mäßigung, nicht vom Radikalismus. Sie verlangt, anderen mit Respekt zu begegnen, sich auf den Andersdenkenden einzulassen und im Gespräch zu bleiben – ungeachtet aller Meinungsunterschiede. Diese Haltung hat unser Land bisher ausgezeichnet. Wer mitfühlt, schwingt keine Hassreden, wo auch immer er sich in der Gesellschaft verortet.

Dieser Beitrag war am Samstag, den 12. März 2016, um 17.55 Uhr, im Format “Zum Sonntag” auf Bayern 2 zu hören. Hier geht es zur Mediathek.

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