Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing, fordert die Kirchen auf, sich in die Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzubringen. Es sei “höchste Zeit, dass sie im Diskurs um den Auftrag und die künftige Ausgestaltung des Modells Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk sichtbar werden”, schreibt Hahn in einem Beitrag für das Fachmagazin epd medien. Hier können Sie seinen Text, der am 9. Dezember 2022 (Ausgabe Nr. 49) erschien, nachlesen.
Von Udo Hahn
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist unter Druck. Das war er schon immer. Und das ist auch nicht verwunderlich. Denn es geht um viel Geld: 2021 haben ARD, ZDF und Deutschlandradio 8,42 Milliarden Euro erhalten – aus dem Rundfunkbeitrag, der grundsätzlich für jede Wohnung erhoben wird (epd 25/22). Pro Wohnung sind das jeden Monat 18,36 Euro. Finanziert wird damit ein Auftrag, der für die Demokratie von essenzieller Bedeutung ist: Information, Meinungsbildung und kulturelle Vielfalt.
Befeuert wird die Reformdebatte seit Jahren durch die legitime Frage, ob Aufwand und Nutzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einem angemessenen Verhältnis stehen. Und durch Affären. Zuletzt beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), der im Sommer nach Vorwürfen von Vetternwirtschaft und Verschwendung in eine massive Krise geraten ist, die noch lange nicht ausgestanden ist.
Tragende Säule der Demokratie
Die Bundesländer, so war gerade zu hören, wollen die Reform der Öffentlich-Rechtlichen zügiger vorantreiben. Bei einem Fachgespräch im Bundestagsausschuss für Kultur und Medien sagte die Koordinatorin der Rundfunkkommission, Heike Raab (SPD), dass Stehenbleiben keine Option sei und Vertrauen zurückgewonnen werden müsse (vgl. Meldung in derselben Ausgabe, Nr. 49/2022). Neben Transparenz und verschärften Compliance-Verhaltensregeln würden weitere Reformschritte beraten. Dabei gehe es um eine Fortentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sie forderte unter anderem mehr Kooperationen unter den Sendeanstalten.
Das fasst treffend zusammen, was sich schon seit längerem als Konsens abzeichnet. In die Debatte mischen sich aber auch andere, besorgniserregende Töne. Es fällt auf, dass seit geraumer Zeit Qualitätsmedien im Allgemeinen und der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Besonderen Ziel von Angriffen sind, die – anderslautenden Bekundungen zum Trotz – eine Schwächung einer tragenden Säule unserer Demokratie zum Ziel haben oder diese Schwächung mindestens unbewusst in Kauf nehmen. Weniger Geld bedeutet schließlich weniger Möglichkeiten, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.
In der Debatte um zweifellos notwendige Reformen – die unter anderem mit einem sich ändernden Mediennutzungsverhalten zu tun haben – wird die grundlegende Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht ausreichend berücksichtigt. An dieser Bedeutung ändern übrigens auch die Skandale nichts, die gerade aufgeklärt werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem am 20. Juli 2021 gefassten Beschluss zum Rundfunkbeitrag einige Punkte festgehalten, die, so scheint es, schlicht ignoriert werden, wenn man sich die Forderungen mancher politischer Parteien genauer anschaut: In seinem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht die besondere Aufgabe des beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks für authentische und sorgfältig recherchierte Informationen hervorgehoben. Er soll, insbesondere in Zeiten von Filterblasen und Fake News, ein Vielfalt sicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht bilden. Und er muss eine Plattform für alle Lebensbereiche bieten (epd 31, 33/21).
Der Hinweis des Gerichts auf die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks resultiert aus dem im Medienstaatsvertrag definierten Programmauftrag: Die öffentlich-rechtlichen Sender sollen Information, Kultur, Bildung und Unterhaltung bieten. Die Definition des Rundfunkauftrags ist und bleibt Sache der Länder – und nicht etwa des Deutschen Bundestags. Die Länderparlamente können selbstverständlich den Auftrag verändern. Darüber muss jedoch Einvernehmen bestehen. Die Länder dürfen jedoch nicht in die Programme eingreifen, etwa weil ihnen Sendungen oder die Berichterstattung nicht gefallen. Sie dürfen auch nicht die Finanzierung mit der Auftragsdebatte verknüpfen. Das ist verfassungswidrig, weil dann die Sender nicht mehr vor staatlicher Einflussnahme geschützt wären.
Die Stabilität unserer Demokratie verdankt sich auch einem ökonomisch und politisch unabhängigen Qualitätsjournalismus und einem dualen Rundfunksystem, dem Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen und privaten Medien. Alles dient der Sicherung freier und umfassender Meinungsbildung. Wo öffentlich-rechtliche Systeme angegriffen oder marginalisiert werden, lässt sich klar zeigen, dass Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt gefährdet sind: etwa in den USA, in Ungarn und in Polen.
Keine Experten
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ist kein Staatsfunk. Das war er auch nie. Um die Staatsferne zu wahren, hat das Bundesverfassungsgericht 2014 im sogenannten ZDF-Urteil festgelegt, dass der Anteil staatsnaher Mitglieder in den Kontrollgremien eines jeden Senders ein Drittel nicht übersteigen darf (epd13/14). In ihrer Breite sind diese Gremien ein Abbild unserer Gesellschaft, in ihnen sind Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, die Kirchen und eine Vielzahl weiterer zivilgesellschaftlicher Akteure vertreten – ohne dass ein Anspruch auf vollständige Repräsentanz möglich wäre. Wichtig zu wissen: Dabei handelt es sich nicht um Vertreterinnen und Vertreter der Interessen der jeweils entsendenden Institution. Vielmehr haben diese die Interessen der Allgemeinheit zu vertreten.
Im Lichte der nicht zuletzt durch die Digitalisierung geprägten Medienentwicklung zeigt sich, dass diese Gremien ihrem Auftrag – Beratung, Aufsicht und Kontrolle – nicht (mehr) in der Weise nachkommen, wie es erforderlich wäre. “Wir Rundfunkräte sind keine Experten”, hatte die Vorsitzende des RBB-Rundfunkrats und Vorsitzende der ARD-Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK) Friederike von Kirchbach, gesagt, ehe sie von ihren Ämtern zurücktrat (epd 35/22).
Die Theologin hat ehrlich ausgesprochen, was für die meisten Mitglieder der Rundfunkräte gilt: Sie sind keine Experten. Das genau ist ein zentrales Problem (vgl. Meldung in der epd medien-Ausgabe vom 09.12.2022). Wie kann Beratung und Kontrolle angemessen wahrgenommen werden angesichts der immer komplexeren inhaltlichen, technischen und juristischen Herausforderungen, die bei der Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu bestehen sind? Indem Medienkompetenz zum Kriterium der Berufung gemacht wird und Abgesandte der Institutionen Mandate nicht (länger) als Auszeichnung für verdienstvolle Arbeit erhalten – zum Teil bis weit über die Ruhestandsgrenze hinaus.
Kein Wunder, dass die aktuelle Debatte um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zum weitüberwiegenden Teil von den politischen Parteien geprägt ist. Unter den zivilgesellschaftlichen Akteuren ragt der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) mit qualitätvollen Beiträgen heraus. So kritisierte der DJV nicht zum ersten Mal die von Teilen der FDP erhobene Forderung nach einer Absenkung des Rundfunkbeitrags als bewussten Verstoß gegen das vom Bundesverfassungsgerichtaufgestellte Gebot der Staatsferne bei der Rundfunkfinanzierung.
Weiter fällt auf: In der Debatte um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks treten die in den Rundfunkräten repräsentierten gesellschaftlichen Institutionen – bis hin zu den Kirchen – praktisch nicht in Erscheinung. Es ist höchste Zeit, dass sie im Diskurs um den Auftrag und die künftige Ausgestaltung des Modells Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk sichtbar werden. Dies ist unerlässlich, denn die Zivilgesellschaft steht für Vielfalt. Sie muss zur Vielfaltsicherung beitragen. Diese kann nicht durch Reduktion von Vielfalt gelingen, worauf zahlreiche Reformvorschläge in letzter Konsequenz hinauslaufen.
Vielfaltsicherung ist ein zentraler Auftrag, dem sich gerade die Kirchen verpflichtet sehen. Dass die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die älteste Nachrichtenagentur betreibt, den 1910 gegründeten Evangelischen Pressedienst, hat mit Vielfaltsicherung in den Medien zu tun. Ganz zu schweigen von ihrem kulturellen Engagement.
Wenn nicht alles täuscht, sind die Kirchen in den medienpolitischen Debatten – von Einzelstimmen abgesehen – kaum mehr vertreten. Dabei war Medienpolitik einst eine Domäne der Kirchen. Die EKD hat 1996 ihr letztes publizistisches Gesamtkonzept vorgelegt. Ihre Medienaktivitäten – von der Nachrichtenagentur epd über das Magazin “chrismon” bis hin zur Filmgesellschaft Eikon – stehen für Qualität, aber für viele ihrer Vertreterinnen und Vertreter in den Rundfunkgremien gilt, was von Kirchbach offen eingestand. Sie sind keine Experten.
Dieser Befund – so steht zu befürchten – wird für die Kirchen nicht ohne Folgen bleiben. So hat die Debatte an Fahrt aufgenommen, ob die Kirchen, die in den Rundfunkräten drittstärkste Kraft sind, dauerhaft diese Position behalten können. Argumentiert wird mit einer gewachsenen religiösen Vielfalt und einer säkularisierten Gesellschaft. Warum das zulasten der Kirchen gehen soll, ist jedoch nicht schlüssig.
Medienpolitische Positionierung
Gegen den vermeintlichen Einfluss der Kirchen wird weiter ins Feld geführt, dass die Zahl ihrer Mitglieder nur noch knapp die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmacht. Nur noch? Welche andere zivilgesellschaftliche Kraft kann für sich in Anspruch nehmen, dass die Hälfte der Bevölkerung bei ihr Mitglied ist? Dass die Kirchen in manchem gesellschaftlichen Diskurs wie der Medienpolitik zu wenig präsent sind, hat sicher damit zu tun, dass die Missbrauchsskandale, schwindende Ressourcen und interne Strukturdebatten viele Kräfte binden.
Es ist an der Zeit, dass sich die Kirchen in die Debatte wirkungsvoll einbringen – und mit ihnen alle anderen Gruppen, die in den Rundfunkräten vertreten sind. Es gehört zu den dringenden Aufgaben der Kirchen, sich medienpolitisch durch ihre Gremien zu positionieren. Das ist ein überfälliger, notwendiger Beitrag, der die Bedürfnisse der Gesellschaft herausstellt und die Weichenstellungen nicht allein der Politik überlässt.
Anfang November haben die Regierungschefinnen und Regierungschefs aller 16 Bundesländer den Dritten Medienänderungsstaatsvertrag unterzeichnet (epd 45/22). Der Staatsvertrag enthält insbesondere neue Regelungen für den Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und soll die Gremienkontrolle stärken, vor allem was das Programm und die Finanzen angeht. Dem Staatsvertrag müssen noch die 16 Landesparlamente zustimmen, damit dieser am 1. Juli 2023 in Kraft treten kann.
Es wäre wichtig, wenn die zivilgesellschaftlichen Akteure diesen Konsens mit ihren Voten bestätigen. Wenn ihre Stimme im medienpolitischen Diskurs ausbleibt, muss es am Ende womöglich wieder einmal das Bundesverfassungsgerichtrichten. Und noch etwas ist unerlässlich: mehr Expertise in den Rundfunkräten, mehr Weiterbildung, mehr Vielfalt und mehr jüngere Rundfunkratsmitglieder.
Infokasten:
Weichenstellungen
Die Diskussion um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat an Fahrt aufgenommen. Doch die Aufsichtsgremien von ARD und ZDF halten sich in dieser Debatte immer noch sehr zurück, stellt Udo Hahn fest. Der Direktor der Evangelischen Akademie in Tutzing vermisst vor allem die Stimme der Kirchen. Vertreter der Kirchen sitzen in allen Rundfunkräten und im Fernsehrat, sie sollten sich zu Wort melden und dürften die Weichenstellungen für die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht allein der Politik überlassen, meint Hahn. Der Theologe leitete von 2005 bis 2011 das Referat Medien und Publizistik der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Foto: Haist/eat archiv
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