von Luise Klemens
Wirtschaft ist per se weder ethisch noch unethisch – es kommt darauf an, in welchem System und welchem Umfeld sie agiert. In unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem ist sie profitgetrieben und damit dem Konkurrenzdenken verpflichtet. Es geht darum, sich gegenseitig auszustechen, auch um den Preis des Scheiterns des anderen. Auf diese Art entsteht nicht eine Win-Win-Situation, sondern Win-Loose: Der Verlust des Gegners ist mein eigener Gewinn. Eine solche Wirtschaft ist angewiesen darauf, schneller und besser zu sein als andere – und sich wo immer möglich Kostenvorteile zu verschaffen.
Wo aber nur betriebswirtschaftliches und nicht volkswirtschaftliches Denken dominiert, werden diese Kostenvorteile häufig zu Lasten anderer gesucht: Hauptsache Gewinn, auch um den Preis der Ausbeutung, der überbordenden Mehrwertabschöpfung und sehr oft des Stellenabbaus. Für Ethik ist da nur selten Platz.
Konkurrenzdilemma und Druck verdrängen ethische Werte
Dabei sei anerkannt, dass viele Unternehmen und ihre Führungskräfte sich durchaus ethischen Werten verpflichten und versuchen, ihnen weitgehend gerecht zu werden. Aber das Konkurrenzdilemma und der permanente Druck, sich am Markt zu behaupten, verführt oft und schnell auch dazu, ebendiese ethischen Werte situationsbedingt über Bord zu werfen.
Die Wirtschaft braucht deshalb Ausgleich – und den findet sie in Deutschland regelmäßig in der Mitbestimmung. Allerdings erleben wir zunehmend, dass sich viele Firmen genau dieser Mitbestimmung entziehen: Flucht aus Tarifverträgen ist mittlerweile gang und gäbe. Sie ist gleichzeitig auch die Flucht vor gesellschaftlicher Verantwortung und vor dem im Grundgesetz fixierten Grundsatz „Eigentum verpflichtet“.
Diese Tarifflucht ist ja nicht ohne Eigennutz: Häufig werden so Lohndumpingmodelle etabliert, die die Beschäftigten dann zwingen, zu Aufstockern zu werden: Lohnmodelle auf Kosten des Staates und der Steuerzahler.
Die Wirtschaft muss zu ethischem Handeln gezwungen werden
Zur Ethik in der Wirtschaft gehört ja auch nicht nur, dass irgendwelche Arbeitsplätze geschaffen werden („Sei doch froh, dass Du überhaupt Arbeit hast“). Gute Arbeitsbedingungen, faire Bezahlung und geschlechtergerechte Anteilhabe sind in einem entwickelten Staat wie unserem ebenfalls unabdingbar.
In einem rein marktwirtschaftlichen System muss deshalb die Wirtschaft zu ethischem Handeln gezwungen werden: Gesetzgeber, Jurisdiktion, Gewerkschaften und Verbände sowie zivilgesellschaftliche Akteure müssen die Verantwortung der Wirtschaft zu ethischem Handeln permanent einfordern.
Wie schnell Wirtschaftsführer und Unternehmer Compliance-Regeln vergessen, beweisen ja zahlreiche Skandale, von denen hier nur Cum-Ex und die Panama-Papers genannt sein sollen: Gier frisst Ethik.
Dass den Führungskräften der Wirtschaft das durchaus selbst bekannt und bewusst ist, zeigt ein Blick auf den Korruptionswahrnehmungsindex 2018: Dort erreicht Deutschland 80 Punkte – ein Punkt weniger als im Vorjahr. Dennoch rückt Deutschland im Ranking einen Platz nach vorne und teilt sich nun mit Großbritannien, das zwei Punkte verliert, den 11. Rang. Während die meisten für Deutschland relevanten Indizes unverändert bleiben, gibt es bei einem Index eine deutliche Verschlechterung: Der World Economic Forum Executive Opinion Survey (EOS), der jährlich Führungskräfte aus der Wirtschaft befragt, sinkt von 74 auf 66 Punkte (von 100) – aus Sicht der Wirtschaftschefs nimmt Korruption und Bestechung in Wirtschaft und öffentlichen Institutionen in Deutschland zu. (Quelle: Transparency Deutschland, https://www.transparency.de/cpi/)
Korruption und Ausbeutung sind in vielen Ländern dieser Welt an der Tagesordnung. Compliance-Regeln funktionieren ohnehin nur in sehr entwickelten Staaten mit starker Ordnungsfunktion und unabhängiger Justiz. Und auch dort sind sie kein Selbstläufer und müssen ständig durchgesetzt, erhalten und ausgebaut werden. Dann können Wirtschaft und Ethik ein starkes Gespann bilden.
Luise Klemens ist Landesbezirksleiterin der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft in Bayern.
Hinweis:
Luise Klemens ist am 7. Mai 2019 während der Tagung „Management der Moral“ als Rednerin zu Gast an der Evangelischen Akademie Tutzing. Vorliegender Beitrag ist ihre Antwort auf die Frage „Wie kommt die Ethik in die Wirtschaft“ – und auch die Antwort auf Prof. Randolf Rodenstock zum Thema (zu seinem Statement gelangen Sie hier.)
Informationen zur Tagung finden Sie hier.
Bild: Luise Klemens (Foto: Verdi Bayern)
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