Der Begriff Respekt ist facettenreich, enthält unterschiedliche Konnotationen und Ambivalenzen. In der Alltagssprache wird er oft mit Gehorsam, Unterordnung oder Höflichkeit in Verbindung gebracht. Ganz anders klang das bei Aretha Franklin. Sie sang ein ganzes Lied über Respekt und wurde damit Ende der 1960er Jahre zu einer der Ikonen der afroamerikanischen Bürger:innenrechtsbewegung in den USA: “All I´m asking […] is for a little respect.” Damit weist sie exemplarisch auf einen zentralen Bedeutungsgehalt von Respekt hin, nämlich auf ein tief liegendes Verlangen und Bedürfnis nach Anerkennung und Rücksichtnahme – ein Verlangen, das universell, also allen Menschen eigen, ist und zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählt.
Von Beate Hartmann
“Respekt heißt gegenseitige Anerkennung.”
John von Düffel, Autor und Theaterregisseur
Respekt beschreibt die Beziehung zwischen zwei Akteur:innen basierend auf gegenseitiger Anerkennung. Dabei lassen sich zwei Arten von Respekt in Interaktionsbeziehungen unterscheiden: horizontaler und vertikaler Respekt. Bei der horizontalen Form von Respekt beruht die Anerkennung des Gegenübers auf der Einsicht in die Gleichwertigkeit aller Menschen. Die Form des vertikalen Respekts gründet auf der Anerkennung einer Differenz, die positiv bewertet wird, und richtet sich auf eine andere Person aufgrund besonderer Eigenschaften oder besonderer Leistungen. Daher ist sie graduell gültig ohne den normativen Anspruch des horizontalen Respekts. (1) Respekt hat auch eine strukturelle Ebene: Zu ihr zählt die gesellschaftliche Anerkennung und rechtliche Gleichbehandlung. Artikel 1 des Grundgesetzes stellt die gleiche Würde aller Menschen fest. Daraus resultiert der Anspruch, auch gemäß dieser Würde behandelt zu werden. Die realen Chancen, dass dieser Anspruch stets eingelöst wird, sind allerdings in unserer Gesellschaft nicht gleich verteilt. Dass Menschen, denen eine fremde Herkunft zugeschrieben wird, nicht oder weniger oft als deren Mitbewerber:innen bei gleicher Eignung zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden, (2) kann als Beispiel für eine Missachtung der Gleichwürdigkeit gewertet werden. Der Respektbegriff öffnet hier auch den Blick für strukturellen Rassismus als eine Form der Diskriminierung, die in unserer Gesellschaft tief verankert ist. Ein respektvoller Umgang auf Grundlage des Menschenwürdegedankens kann als ein Grundkonsens verstanden werden, der im Horizont dieses Umgangs Kontroversen möglich macht. Die Grenze des Respektablen ist dabei immer da überschritten, wo die Gleichwürdigkeit von Menschen missachtet und die Würde eines Menschen verletzt wird.
Respekt stellt im Kontext der Schule eine zentrale Kategorie dar. Gelebte Demokratie und das respektvolle Zusammenleben gleichwürdiger Menschen sind leider keine Selbstverständlichkeit. So gehört es zu den Aufgaben schulischer und außerschulischer Bildungsträger, junge Menschen zu demokratischem Handeln zu befähigen. Zur Entwicklung dieser Kompetenzen sind Erprobungsräume notwendig, die Begegnungen ermöglichen und in denen Schüler:innen ihre Respektkompetenzen erweitern können. Unter dem Titel “Respekt und Antirassismus” führte die Regionale Fachstelle im Projekt “Alles Glaubenssache?” an der Evangelischen Akademie Tutzing eine fünfteilige Workshop-Reihe mit Schüler:innen einer 9. Klasse eines Gymnasiums durch. Zwei Module werden im Folgenden näher unter dem Gesichtspunkt des “Respekt-Lernens” beleuchtet.
Improvisations-Workshop zum Thema “Respekt – was ist das eigentlich?”
Beim Theaterspiel kommt der gesamte Körper als Darstellungsmittel zum Einsatz, wodurch Lernen im ganzheitlichen Sinne möglich wird. Aus diesem Grund war im Workshop “Respekt – was ist das eigentlich?” das Improvisationstheater-Spiel ein zentrales Element. Gemeinsam mit der Schauspielerin Annette Hallström wurden mit theoretischen Inputs und praktischen theaterpädagogischen Impro-Elementen die Fragen aufgegriffen, was Respekt eigentlich ist und für die Teilnehmenden bedeutet. Nach einer theoretischen Einführung kamen Techniken zum Einsatz, die Respekt und Disrespekt für die Schüler:innen erleb- und erfahrbar machten. Dabei wurde deutlich: Ob gegenseitiger Respekt gezollt wird, zeigt sich vor allem in Konfliktsituationen. Behandle ich mein Gegenüber auch dann als gleichwürdig, wenn ich andere Interessen habe? Auf Basis dieser Fragestellung wurde zusammen mit den Schüler:innen die Grenzziehung zwischen Toleranz (Dulden der Ansichten der/des Anderen) und Respekt (Verstehen-Wollen der Ansichten der/des Anderen– ohne diese zwangsläufig teilen oder gutheißen zu müssen) herausgestellt, gespielt und reflektiert. Es erwies sich dabei als wichtig, den Emotionen Raum zu geben, um sie als Ausgangspunkt für Veränderungsprozesse zu nutzen. Die Schüler:innen konnten im Spiel erfahren, dass respektlose Interaktionen immer abwertend sind und Missachtung ausdrücken – und dass ein respektvoll(er)es Miteinander erstrebenswert ist.
Die Schüler:innen bewegen sich in ihren Lebenswelten in Kontexten, in denen beide oben beschriebenen Respektformen bedeutsam sind. So kommt in den Interaktionsbeziehungen zwischen Lehrenden und Schüler:innen neben der horizontalen auch die vertikale Respekt-Beziehung zum Tragen. Respekt kann in solchen asymmetrischen Interaktionskonstellationen nicht einseitig eingefordert werden, sondern muss freiwillig bekundet werden – und zwar auf Basis einer Einsicht, dass der entgegengebrachte Respekt der/dem Anderen, in diesem Fall der/dem Lehrer:in, auch gebührt. (3)
In einer sogenannten “Statusarbeit” nahmen die Teilnehmenden solche Beziehungskonstellationen mit einem Unter- und Überordnungsverhältnis genauer in den Blick. Zentral ist, dass die vertikale Respektsbekundung nicht gleichzusetzen ist mit Tiefstatus der/des Untergebenen sowie Hochstatus der/des Statushöheren in der Interaktionsbeziehung. Abschließend wurden in einem nächsten Schritt gemeinsame Charakteristika des sogenannten Idealstatus im Sinne einer souveränen Persönlichkeit herausgestellt, welche die positiven Seiten beider Status vereint: Raum nehmend, dabei nicht dominant; zielgerichtet, aber empathisch und verhandlungsbereit; Stimme deutlich und modulierend; kann Verantwortung übernehmen und abgeben; erwartet Respekt, kann diesen auch einfordern und kann Respekt zollen. Bei der Ausgestaltung von Interaktionsbeziehungen zwischen zwei Akteur:innen ungleicher Machtverteilung soll wie in allen Interaktionsbeziehungen stets ein Maximum an horizontalem Respekt handlungsleitend sein.
Einladung einer jungen Aktivistin der #BlackLivesMatter-Bewegung zum Interview
Respekt kann durch Kontakte und Begegnungen wachsen und findet seinen Ausdruck auch darin, sich mit der Lebenswelt und Realität anderer Menschen auseinanderzusetzen und diese auch verstehen zu wollen. (4) Es braucht Brücken zueinander, um diese Verständigung überhaupt zu ermöglichen. Im Rahmen der Workshop-Reihe kristallisierte sich die Idee heraus, Beron Getachew, eine Aktivistin der Frankfurter #BlackLivesMatter-Bewegung zu einem Interview einzuladen. Das Interview bildete den Abschluss der Workshop-Reihe. Ziel war, neben einer konkreten Wissensvermittlung über Rassismus und dessen Wirkweise, ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass Rassismus nicht nur auf der individuellen Ebene zu verorten, sondern auch Teil der gesellschaftlichen Strukturen ist. Mit der virtuellen Zuschaltung von Beron Getachew in den Unterricht war es möglich, einen Raum des Austausches zu schaffen, in dem die Schüler:innen in einer respektbasierten Begegnung auch ihre Fragen zum Leben Schwarzer Menschen in Deutschland stellen durften. Insgesamt wurde dabei deutlich, dass der in unserer Gesellschaft existierende Rassismus das Leben von unseren Mitmenschen beeinflusst und erschwert. Den Schüler:innen wurde exemplarisch ein individueller Einblick gewährt, wie Alltagsrassismen konkret aussehen können und wie verletzend Sprache sein kann. Sie lernten dabei eine andere, für sie neue, Perspektive kennen. Weiter konnten sie ein Bewusstsein dahingehend entwickeln respektive ausbauen, dass Sprache eine große Wirkmacht besitzt und jede:r etwas beitragen kann – etwa innerhalb der eigenen Familie oder im Freundeskreis –, um beispielsweise in Hinblick auf Sprache den respektvollen Umgang miteinander immer weiter zu verbessern. Dieses Setting gründete zum einen auf Respekt im horizontalen Sinne, also auf gegenseitiger Wertschätzung, und zum anderen auf Respekt im vertikalen Sinne, da die Schüler:innen Beron Getachew aufgrund ihrer Erfahrungen und ihres Wissensvorsprungs auch diese Form von Respekt freiwillig und gerne gezollt hatten. Durch das “Bauen einer Brücke” konnte ein Lern- und Begegnungsraum geschaffen werden, der ein offenes “Aufeinander-Zugehen” möglich machte und dadurch unter anderem Unsicherheiten abbauen kann.
“Andere mit Respekt zu behandeln, geschieht nicht einfach von selbst, nicht einmal beim besten Willen.” Richard Sennett, Autor und Soziologe
Die beiden Soziolog:innen Hormel und Scherr statuieren: “Bildung ist grundsätzlich als ein Prozess der Selbstbildung zu verstehen, in dem sich Individuen auf der Grundlage eigener Erfahrungen, Deutungsmuster, Fragestellungen usw. mit jeweiligen Lernangeboten eigensinnig auseinandersetzen”(5). Demnach können auch Respektlernprozesse bei den Schüler:innen nicht bewirkt, sondern nur ermöglicht, angeregt, unterstützt und begleitet werden. Das Schaffen von vielfältigen Lernangeboten, die gemeinsam mit Trägern der außerschulischen politischen Bildung konzipiert werden und andere Bildungsprozesse ermöglichen als der reguläre Unterricht, sind im Hinblick auf Respekt-Lernen sehr gewinnbringend. Sie ermöglichen Reflexionsprozesse, und geben den Schüler:innen Gelegenheit, Anerkennung und Wertschätzung sowohl zu erfahren als auch zu geben. Dabei handelt es sich um Lernprozesse, die nie abgeschlossen sind. Und last but not least: Gegenseitige Anerkennung und Rücksichtnahme schaffen mehr Zusammenhalt innerhalb der Klasse und in unserer Gesellschaft.
Die Autorin ist Inhaberin der Regionalen Fachstelle im Projekt “Alles Glaubenssache?” an der Evangelischen Akademie Tutzing. Mehr über Beate Hartmann erfahren Sie hier.
Hinweis:
Dieser Artikel ist erschienen in: Jantschek, Ole (Hg.): Was die Demokratie zusammenhält – Konsens, Kompromiss und Kontroversität in der politischen Jugendbildung. Jahrbuch 2021. Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung. Berlin, S. 38-41. www.politische-jugendbildung-et.de
Quellen:
(1) Vgl. RespectResearchGroup (2021): Respekt. Online verfügbar: www.respectresearchgroup.org/respekt/thesen-und-erkenntnisse, Zugriff 4.8.2021.
(2) Völlinger, Veronika (2016): Frauen mit Kopftuch müssen deutlich mehr Bewerbungen schreiben. ZEIT ONLINE 20.9.2016. Online verfügbar: www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-09/arbeitsmarktkopftuch-musliminnen-bewerbung-diskriminierung-studie, Zugriff 4.8.2021.
(3) Vgl. RespectResearchGroup (2021): Respekt. Online verfügbar: www.respectresearchgroup.org/respekt/thesen-und-erkenntnisse, Zugriff 4.8.2021.
(4) Ebenda.
(5) Hormel, Ulrike; Scherr, Albert (2005): Bildung für die Einwanderungsgesellschaft: Perspektiven der Auseinandersetzung mit struktureller, institutioneller und interaktioneller Diskriminierung. Freiburg, S. 30.
Bild: Beate Hartmann, Evangelische Akademie Tutzing (Foto: ma/eat archiv)
Kommentare