Vier Tage stand Lindau am Bodensee ganz im Zeichen der Weltversammlung Religions for Peace. Rund 1.000 Christen, Juden, Muslime, Hindus, Buddhisten, Sikhs und andere aus mehr als einhundert Ländern diskutierten, welchen Beitrag die Religionen für eine friedliche Zukunft aller Menschen leisten können. Ein Kommentar von Udo Hahn.
Der Name ist Programm – und eine Selbstverpflichtung: Religions for Peace – Religionen für den Frieden. 1961 wurde die Initiative gegründet. Ihre erste Weltversammlung tagte 1970 in Kyoto. Ihr zehntes Treffen fand in dieser Woche in Lindau statt. Rund 1.000 Vertreterinnen und Vertreter von zehn Religionen – darunter Christen, Juden, Muslime, Buddhisten, Hindus, Sikhs und viele andere – prägten auch optisch das Bild in der Stadt am Bodensee. „Für unsere gemeinsame Zukunft sorgen – Das Gemeinwohl für alle fördern“, lautete das gar nicht religiös klingende Motto. Es unterstreicht den Anspruch, die Welt mitgestalten zu wollen – auch und gerade dort, wo es darum geht, die großen Hindernisse auf dem Weg zu Frieden und Gerechtigkeit zu überwinden. 85 Prozent der Weltbevölkerung gehören einer Religion an. Da müsste es doch möglich sein, Extremismus, Hass und Krieg machtvoll entgegen zu treten.
Die Realität zeigt jedoch ein anderes Bild. Nicht ohne Grund warnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Begrüßung, Religionen dürften sich nicht für politische Zwecke missbrauchen lassen. „Religion darf niemals Rechtfertigung für Hass und Gewalt sein. Kein Krieg darf geführt werden im Namen der Religion“, so Steinmeier. Die Religionen dürften kein Anlass für Unfrieden und Krieg sein, sondern vielmehr „Werkzeuge des Friedens“. Und bekräftigend fügte er hinzu: Ihr Beitrag sei unverzichtbar und unersetzbar.
Tatsächlich sind viele Konflikte im Kern gar nicht religiöser Natur, sondern haben politische Ursachen. Dies gilt zum Beispiel für die Vertreibung der muslimischen Rohingyas im Vielvölkerstaat Myanmar. Auslöser ist ein erstarkter Nationalismus, der eine vermeintlich buddhistische Identität des Landes behauptet.
Dass Religionen Werkzeuge des Friedens sein können, dafür gibt es ermutigende Beispiele. So hat 1992 im Bürgerkrieg in Mosambik die katholische Laienbewegung Sant’Egidio erfolgreich ein stabiles Friedensabkommen vermittelt. Während des Genozids in Ruanda 1994 widersetzte sich nur eine Bevölkerungsgruppe der Gewalt: die ruandischen Muslime. Zu erwähnen ist auch die Friedens- und Versöhnungsbewegung des buddhistischen Mönchs Maha Ghosanda nach dem Ende der Schreckensherrschaft von Pol Pot und Roter Khmer in Kambodscha.
Bleibt die interreligiöse Zusammenarbeit aus, dann hat dies negative Folgen. Ein muslimischer und ein christlicher Vertreter aus Nigeria berichteten, dass dem aufflammenden islamistischen Terror seitens der Religionen nichts entgegenzusetzen war. Der Grund: Der Interreligiöse Rat des Landes habe ausgerechnet dann, als er am dringendsten gebraucht wurde, nicht reagiert. Beide Vertreter betonten vor allem die Notwendigkeit, die „mittlere Ebene“ zu erreichen – also jene, auf deren Haltung und beschwichtigende Worte es in einer Krise ankommt. Hier müsse die Bildungsarbeit spürbar ausgeweitet werden.
Religions for Peace – darin kann man so etwas wie die Uno der Religionen sehen. Seit 1973 ist sie übrigens bei den Vereinten Nationen als Nichtregierungsorganisation anerkannt. Religions for Peace ist ein Verbund, der jedoch kein Mandat hat, verbindlich für die Religionen zu sprechen. Seine Bedeutung ist symbolischer Art. Und auch die braucht es.
Was bleibt von der ersten Weltversammlung der Religions for Peace in Deutschland? Es sind dies unter anderem Initiativen zum Schutz heiliger Stätten im Fall des Krieges sowie gegen sexuelle Gewalt an Frauen. Die Konferenz hat wichtige Fragen öffentlich gemacht und gezeigt, dass jenseits des theologischen Diskurses zwischen den Religionen auf der praktischen Ebene der Zusammenarbeit viel – und eigentlich noch viel mehr – möglich ist.
„Allianz der Barmherzigkeit“, so hat der scheidende Generalsekretär William Vendley die Weltversammlung schon zu Beginn der Konferenz genannt. Manch einer mag das für naiv halten, denn aktuell scheint der Einfluss der Religionen bei vielen Themen relativ gering. Andererseits wird vieles, was weltweit unter dem Vorzeichen von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus geschieht, so als unbarmherzig entlarvt. In jedem Fall geht von Lindau das Signal aus, dass in den Religionen der Widerstand gegen die weltweite Unbarmherzigkeit wächst.
Vorliegender Text von Udo Hahn ist zugleich Hörbeitrag für die Sendung „Zum Sonntag“ von Bayern2. Sendetermin: 24. August 2019 / 17.55 Uhr. Unter diesem Link geht es zur Homepage der Sendung.
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