Nach dem grausamen Zivilisationsbruch, der Shoah, waren die Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Deutschland die wichtigste Brücke für Verständigung und Versöhnung. Und sie bleiben wichtig für den Dialog bis heute. 1948 wurde in München die erste dieser Gesellschaften gegründet. Ein Deutscher Koordinierungsrat richtet seit 1952 alljährlich zu dieser Zeit im März eine „Woche der Brüderlichkeit“ aus. Und seit 1968 wird in ihrem Rahmen die Buber-Rosenzweig-Medaille verliehen. Personen, Institutionen oder Initiativen werden ausgezeichnet, die sich um den Dialog und die Aussöhnung zwischen Christen und Juden verdient gemacht haben. Heuer beispielsweise der katholische Theologe Hanspeter Heinz und sein Gesprächskreis Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken.
Erinnert Euch! Dieser Auftrag verliert nicht an Bedeutung. Und auch nicht die Mahnung: Nie wieder! Nie wieder darf geschehen, was Millionen von Menschen im Dritten Reich den Tod brachte. Aber mahnende Worte reichen nicht. Zivilcourage ist gefragt. Die Lage ist ernst. Um es mit den Worten des bayerischen Landesbischofs und Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, zu sagen: Es ist „bedrückend und beschämend“, überhaupt nur die Überlegung anzustellen, ob Juden an bestimmten Orten besser keine Kippa tragen. So wie es der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, kürzlich tat.
Die Kirchen trugen und tragen eine besondere Verantwortung. Und nicht nur wegen ihrer Mittäterschaft während des Nationalsozialismus und nicht nur, weil die sie die Wiederaufnahme deutsch-israelischer Beziehungen so stark mitbefördert haben. Der – wie Bedford-Strohm es nennt – „lange unhinterfragte und immer noch stark wirksame theologische Antijudaismus der Vergangenheit“ sei mitverantwortlich dafür gewesen, „dass eine rassistische Ideologie des Antisemitismus Nährboden gefunden hat, die unendliches menschliches Leid angerichtet hat“.
Und man muss hinzufügen: Diese Kraft wirkt noch immer. Ja, sie scheint sogar neuen Auftrieb bekommen zu haben. Jüngsten Statistiken zu Folge ist jeder fünfte Deutsche latent antisemitisch. Und besonders erschreckend: In den Kirchen liegt der Antisemitismus noch über dem Bevölkerungsdurchschnitt. Auch das verpflichtet die Kirchen zu besonderer Verantwortung. Und sie geben sich Mühe: Keine andere gesellschaftliche Institution oder Gruppe setzt sich seit Jahrzehnten kontinuierlich so intensiv für die Verständigung mit dem Judentum ein wie die Kirchen.
Allerdings ist es jetzt fünfzehn Jahre her, dass die Evangelische Kirche in Deutschland ihre letzte große Studie unter dem Titel „Christen und Juden III“ herausgegeben hat. An Aktualität hat sie und haben ihre Vorgängerstudien nichts verloren. Im Jahr 2000 hielten die Gliedkirchen der EKD fest, worauf es ihnen ankommt:
Die Absage an den Antisemitismus – Das Eingeständnis christlicher Mitverantwortung und Schuld am Holocaust – Die Erkenntnis der unlösbaren Verbindung des christlichen Glaubens mit dem Judentum – Die Anerkennung der bleibenden Erwählung Israels – Die Bejahung des Staates Israel.
Die Zeit ist reif, dass die Kirchen zu einer erneuten Standortbestimmung kommen. Der gesellschaftliche Konsens, dass Juden untrennbar zu Deutschland gehören, bedarf der Vergewisserung. Auch wenn man den Eindruck haben kann, dass inhaltlich bereits alles gesagt sei – das Engagement kirchenleitender Persönlichkeiten und Synoden gegen Antisemitismus ist eindeutig. Und doch: Die Prägekraft der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ist zunehmend fraglich. Hier – wie etwa auch in der Ökumene – steht ein Generationenwechsel an. Ob er gelingt, ist fraglich. Die heute Aktiven und Interessierten sind durch ihre Biographie geprägt, durch das Erleben des Krieges, den gesellschaftlichen Aufbruch danach, durch intensive Begegnungen in Israel, aber auch auf Kirchentagen in Deutschland. Nicht wenigen jungen Menschen fehlen jedoch die Zugänge, mancherorts ist auch der didaktische Ansatz nicht mehr zeitgemäß.
Dabei ist klar: Zu einem Generationenabbruch darf es gerade bei der Verständigung zwischen Christen und Juden nicht kommen. Die Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, aber auch die Kirchen, sollten einen Strategiewechsel vornehmen. Ihre Aktivitäten sind hier aufs Ganze gesehen wohl zu stark nach innen gerichtet und erreichen bei diesem Thema meist nur die, die ohnehin schon überzeugt sind. Dabei muss es gelingen, auch jene anzusprechen, bei denen antisemitische Parolen nur allzu leicht verfangen. Diesen Dienst sind die Kirchen der Gesellschaft schuldig – und in besonderer Weise den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.
Dieser Beitrag wurde am 14. März vom B2 gesendet. Hier der Link zum Nachhören.
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