Anerkennung ist ein Zukunftsthema – vor allem für junge Menschen. Warum das so ist und was das mit Glücksempfinden zu tun hat, das beschreibt die Religionspädagogin und Expertin für interreligiösen Dialog Gönül Yerli in diesem Gastbeitrag.
Von Gönül Yerli
Glück erscheint oft als persönliches Gefühl, als etwas Leichtes, fast Nebensächliches. Doch wer gerade mit Kindern und Jugendlichen spricht, weiß: Glück ist eine zutiefst gesellschaftspolitische Frage. Es entscheidet darüber, ob junge Menschen Vertrauen in diese Gesellschaft entwickeln – oder ob sie sich von ihr entfremden.
Als Mutter von drei erwachsenen Kindern weiß ich, wie wesentlich es ist, dass Kinder sich geborgen fühlen, dass sie ihre Zukunft nicht als Wagnis, sondern als Möglichkeit sehen. Gleichzeitig zeigt mir mein Alltag in der islamischen Gemeinde in Penzberg, wie unterschiedlich die Voraussetzungen dafür sein können. Dort begegne ich jungen Menschen, die in Deutschland geboren sind, die hier ihr Zuhause sehen, die die Sprache, die Kultur und den Alltag dieses Landes selbstverständlich leben – und die dennoch erfahren, dass ihnen volle Anerkennung oft verweigert wird.
Viele von ihnen erzählen mir, wie sie zwischen Hoffnung und Zweifel stehen: dem Glück darüber, hier zu Hause zu sein, und der Sorge, dass dieses Zuhause ihnen nie ganz gehören darf. Sie berichten von Zukunftsängsten, die nicht aus ihrer Lebensrealität entstehen, sondern aus dem Blick mancher auf sie. Das hat politische Konsequenzen, denn eine Gesellschaft, die Kindern vermittelt, sie seien trotz aller Zugehörigkeit „anders“, verhindert ihr eigenes Zukunftsglück.
Ein überlieferter Ausspruch des Propheten Muhammad fasst eine zentrale Erkenntnis zusammen: „Wahrer Reichtum ist die Zufriedenheit der Seele.“ Doch wie soll ein junger Mensch innere Zufriedenheit finden, wenn äußere Anerkennung fehlt? Diese Frage ist nicht spirituell – sie ist hierzulande vor allem politisch.
Pluralität als Chance – nicht als ständiger Prüfstein
Deutschland ist heute vielfältiger als je zuvor. Kinder wachsen in einem Land auf, in dem religiöse, kulturelle und soziale Unterschiede alltäglich geworden sind. Doch während viele junge Menschen diese Vielfalt als Bereicherung erleben, wird sie ihnen politisch und gesellschaftlich nicht immer als solche gespiegelt.
In Penzberg ist es teilweise gelungen, diese Vielfalt im Alltag zu leben. Kinder gehen hier weitgehend selbstverständlich miteinander um – egal, ob sie Weihnachten, Ramadan oder keines dieser Feste feiern. Viele Schulklassen besuchen unsere Moschee und erleben hautnah, wie interreligiöses Zusammenleben funktionieren kann. Häufig kehren sie nach diesen Besuchen verändert zurück: Sie nehmen eine neue Offenheit und Neugier mit in ihren Alltag, stellen Fragen, tauschen sich aus – selbst Jahre später erinnern sie sich noch lebhaft an diese Erfahrungen.
Diese Begegnungen zeigen, welches Potenzial darin liegt, wenn Kinder verstehen, dass Anderssein kein Makel, sondern eine Erweiterung des eigenen Horizonts ist. Der interreligiöse Alltag, wie wir ihn in Teilen unserer Stadt erleben, macht deutlich: Vielfalt ist keine Belastung – sie kann gelebtes Glück sein. Der Mystiker Rumi formulierte dies poetisch: „Jenseits von richtig und falsch liegt ein Feld. Dort treffen wir uns.“ Für mich ist dieses Feld ein Raum, in dem wir Kinder nicht nach Schablonen sortieren, sondern ihnen ermöglichen, sich frei und ohne Angst zu entfalten.
Anerkennung als Voraussetzung für gesellschaftliches Glück
Wer jungen Menschen zuhört, erkennt schnell, wie sehr gesellschaftliche Rahmenbedingungen ihr persönliches Glück beeinflussen. Sie wünschen sich Respekt, gleiche Chancen, einen Alltag ohne misstrauische Blicke – und das Recht, nicht ständig erklären zu müssen, wer sie sind. Viele erzählen mir, wie sie in der Schule oder bei der Ausbildungsplatzsuche anders behandelt werden, obwohl sie alles mitbringen, was ein demokratisches Land sich wünschen kann: Leistungsbereitschaft, Kreativität, Verantwortungsgefühl – und den Wunsch, diese Gesellschaft aktiv mitzugestalten.
Wenn junge Menschen den Eindruck bekommen, dass ihre Zukunft nicht zählt, verliert unsere Gesellschaft ein Potenzial, das sie dringend braucht. Anerkennung ist nicht nur ein persönlicher Wunsch, sondern ein politischer Wert. Eine demokratische Gesellschaft muss allen Kindern das Gefühl geben: Euer Glück ist Teil unseres Glücks. Eure Zukunft ist Teil unserer Zukunft.
Interreligiöse Räume als Labor der Zukunft
In interreligiösen Projekten erlebe ich, wie Kinder und Jugendliche lernen, Unterschiede nicht als Bedrohung zu sehen, sondern als Möglichkeit. Sie stellen Fragen über Gott, über Werte, über Gerechtigkeit, und sie erkennen, wie viel sie miteinander verbindet. Wenn Kinder unterschiedlicher oder keiner Glaubensbezüge sich austauschen, entsteht eine Form des Glücks, die politisch kaum zu überschätzen ist: ein Glück, das auf Vertrauen beruht, das Vorurteile abbaut, das soziale Räume stärkt. Solche Räume sind Zukunftslabore. Sie zeigen, wie unser Land sein könnte – und wie es sein müsste, damit sich jedes Kind sicher fühlt. Anerkennung, Respekt und Neugier sind keine Privatangelegenheiten; sie sind die Bausteine einer festen demokratischen Kultur.
Eine Gesellschaft, die ihren Kindern diese Erfahrungen ermöglicht, schenkt ihnen nicht nur Sicherheit, sondern einen Weg zu innerer Stärke. Sie schenkt ihnen das Bewusstsein, dass ihre Identität kein Widerspruch ist: Sie können deutsch sein und zugleich muslimisch, jüdisch, christlich oder säkular – und all das ist Teil dieses Landes.
Ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag: Glück für alle Kinder ermöglichen
Wenn wir im neuen Jahr über Glück sprechen, dürfen wir nicht bei persönlichen Wünschen stehen bleiben. Glück ist ein gesellschaftliches Projekt. Es entsteht dort, wo Kinder erfahren, dass sie wertvoll sind – nicht trotz ihrer Herkunft, Religion oder Hautfarbe, sondern einfach, weil sie Menschen sind. Für mich bedeutet menschliche Verantwortung, Bedingungen zu schaffen, unter denen Kinder nicht in Angst aufwachsen müssen, sondern in Zuversicht. Und es bedeutet, Vielfalt nicht als Ausnahmezustand zu betrachten, sondern als Normalität und Stärke. Vielleicht liegt das größte Glück unserer pluralen Gesellschaft genau darin, dass wir voneinander lernen dürfen. Dass Kinder ihren Platz finden, ohne sich zu verstellen. Dass Jugendliche spüren: Dieses Land sieht mich. Dieses Land vertraut mir. Dieses Land gehört auch mir.
Glück ist dann nicht nur ein Gefühl, sondern ein gesellschaftliches Versprechen. Und es ist an uns, dieses Versprechen einzulösen.
Zur Autorin
Gönül Yerli wurde in der Türkei geboren und zog im Alter von drei Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland. Nach dem Studium der islamischen Religionspädagogik absolvierte sie einen Master im interreligiösen Dialog. Seit 2005 ist sie Vize-Direktorin der Islamischen Gemeinde Penzberg, wo sie sich besonders für den interreligiösen Dialog engagiert. Sie ist zudem in etlichen Dialoginitiativen aktiv und als Referentin zu islamischen Themen unterwegs.
Hinweis:
Am 8. Februar 2026 lädt die Evangelische Akademie Tutzing Jugendliche ab 12 Jahren zum Workshoptag von 9-14.30 Uhr zum Thema „Glück“ ein. Die Veranstaltung des Jungen Forums findet in Kooperation mit der Evangelische Kirchengemeinde Bad Tölz und der Islamischen Gemeinde Penzberg statt. Weitere Informationen zum Ablauf und zur Anmeldung finden Sie hier.

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