Himmel & Erde

„Wess Brot ich ess, dess Lied ich sing“? – Gedanken zum Tod von Pete Seeger

„Wess Brot ich ess, dess Lied ich sing“? Wer kann von der Gassenweisheit nicht ein Lied singen! Meist sind im ‚Reich der Notwendigkeiten’ die Abhängigkeiten halt so. Je nach argem Druck wird dann aus Einzelnen schon mal ein Chor. Aus der Reihe tanzen? Das will gut überlegt sein. Nicht nur des Liebesverlusts wegen, mit dem man auch privat gern abgestraft wird, wenn man nicht der Erwartung entspricht. Nonkonform gilt heutzutage nicht nur im Sinne der Selbsterhaltung als strategisch unklug. Systemische Binnenloyalitäten ahnden Millimeter-Abweichungen als Hochverrat. Deserteure werden eben liquidiert. Viele beugen sich dem, obwohl es sie ekelt. Andere sind so angewidert, dass sie’s nur noch im Überlaufen zum Mainstream aushalten.

Wir haben deswegen die ‚anderen Lieder’ meist im ‚Reich der Freiheiten’, also nach der Schule oder nach der Schicht, am Feierabend und in der Freizeit singen gelernt. Doch immer wieder gibt es Typen, die sich einen Kehricht drum scheren, um die Etikette, die ‚Chorectness’, was Andere von ihnen halten. ‚Ich scheiß mir nix’, war neulich von einem Wilderer zu lesen. Mut, Coolness, Verrücktheit? Einer, der auch nie mitmarschiert ist, weder körperlich noch geistig, ist dieser Tage mit 94 Jahren gestorben.

„Wess Brot ich ess, dess Lied ich sing“? Pete Seeger, der im Gefängnis war, für die Rechte der Schwarzen und Arbeiter kämpfte, Kommunist in Amerika war, kannte die Wucht der Macht, der Gewalt derer, die Anderen gern den Marsch blasen. Doch irgendwie hat er es geschafft, was Schikane, Rassismus, Antisemitismus, Faschismus, Hetze, Heuchelei, Gemeinheit, Mord und Krieg an Schock, Schmerz, Trauer, Wut und Ohnmacht, vor allem die tödlichen Verluste – ‚where have all the flowers gone? – in ihm ausgelöst haben, in Lieder zu formen.

Entstellendes, Entmenschendes durch und zu Poesie verwandeln? Klipp und klare Texte in harmonische Schönheit kleiden, wörtlich: investieren, diese Courage hat ihn berühmt, mehr noch, beliebt gemacht, mitunter ganz oben. Aber mit Musik, mit Banjo/Gitarre und Gesang gegen das Mitblöken, Mitschunkeln, Mitmachen, Mitlügen, Mittöten? Ist das nicht allzu romantisch? Vielleicht nicht nur hohe Kunst, sondern List aus Klugheit. Denn mit seinen Folk-, seinen Protestsongs hat er über die Herzen auch die Hirne erreicht, selbst bei Hartgesottenen, die noch 1 Meter neber’m Hirn blöd waren (auf der Gitarre von Arlo Guthrie, mit dem er musizierte, stand ‚this machine kills fascists).

„Wess Lied ich sing, dess Brot ich ess“? ‚Turn! Turn! Turn!’ Das war seine Haltung, und: ‚This is your land!‘. Pete Seeger singt, lebt weiter, nicht nur in den CDs, die jetzt en masse – zurecht – gekauft werden, oder in den Songbooks, mit denen wir seine Lieder nachsingen. Sondern mehr noch im kleinsten Impuls, und sei er noch so blind somatisch, der einem schüchternen Affekt gegen Gewalt, Unrecht, Heuchelei und was wir Menschen an Barbareien Menschen antun, Kraft zum Widerspruch gibt.

Daraus kann viel keimen. Nicht gleich das Ende aller Musikantenstadel samt dem Geseiche ihrer geklonten HeimatheldInnen. Nicht gleich Revolution. Aber der Auszug aus der selbst- wie unverschuldeten Unmündigkeit. Nachbeten, Nachtreten iss nicht mehr. ‚If I had a hammer’ – der Refrain memoriert schier Nietzsches Denken mit dem Hammer. Pete Seeger war nicht korrumpierbar.

Seine Lieder braucht man jetzt gar nicht zu kennen oder wissend zu zitieren. Ihre Summe, ihr Kanon heißt einfach, schier überbiblisch, ‚we shall overcome’. Wenn wir den Februar, der immerhin Fasching wie Fastenzeit, Karneval wie Passion, also Dur und Moll feelsaitig alla Pete Seeger eint, wenn wir den Febbraio, ital. der Fiebernde, der Reinigende, damit begönnen?

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