Wie umgehen mit der Klimakatastrophe? – Die durch Industrialisierung und Wirtschaftswachstum ausgelösten Beschleunigungsprozesse lassen uns keine Zeit. Im Klartext: Schnelles, effektives Handeln sowie sozial-ökologische Transformationsprozesse sind jetzt unumgänglich, wobei dem Bereich der Bildung – umfassend verstanden und neu gedacht – eine zentrale Rolle zukommt. In ihrem Statement für den AEEB-Newsletter (Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Erwachsenenbildung) formulierte Studienleiterin Katharina Hirschbrunn fünf Forderungen für eine transformative Bildung hin zu Klimaschutz, Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit. Hier können Sie den Text nachlesen.
- Vielfältige Diskussionsräume schaffen für die Neuausrichtung der Gesellschaft
Wirtschaftswachstum als politisches Ziel hat ausgedient: Trotz technologischer Innovationen sind Emissionen und Umweltverbrauch nicht im notwendigen Maße gesunken. Weiteres Wirtschaftswachstum macht Industrienationen Studien zufolge weder glücklicher noch erhöht es die durchschnittliche Lebensqualität. Was aber kommt nach der Wachstumsfixierung? – Es braucht eine gesellschaftliche Neuausrichtung!
- Politik muss im großen Stil in transformative Bildung investieren. Erwachsenenbildung muss vielfältige Foren schaffen für die Diskussion zentraler Werte wie Freiheit und Gerechtigkeit und für die demokratische Entwicklung neuer gesellschaftlicher Ansätze wie Zeitwohlstand, Glück oder das „gute Leben“/ „buen vivir“.
- Macht- und Herrschaftsverhältnisse sowie Transformationshindernisse müssen dabei klar benannt werden. Zentral sind Transdisziplinarität, interaktive, emanzipatorische und selbstermächtigende Methoden.
- Das Studium der Wirtschaftswissenschaften darf nicht länger auf neoklassische Theorie fokussieren, sondern muss alternative Ansätze wie Postwachstum / Degrowth, Feministische oder Marxistische Ökonomik gleichrangig behandeln. Einstieg in das Studium müssten Wirtschaftsphilosophie und ökonomische Ideengeschichte sein. Volkswirtschaftslehre muss sich dabei an real existierenden Problemen orientieren, etwa der Frage wie ein vom Wachstum unabhängiges Wirtschafts- und Gesellschaftssystem aussehen kann.
- Psyche und Emotionen ernst nehmen
Die Beschäftigung mit der Klimakatastrophe löst starke Emotionen wie Angst und Verzweiflung aus und wird daher gerne vermieden.
- Bildung sollte nicht allein den Intellekt ansprechen, sondern Menschen befähigen, Gefühle wie Trauer, Verzweiflung, Angst und Wut anzunehmen, auszuhalten und darüber ins Handeln zu kommen. Wege dorthin sind etwa Meditation und Spiritualität, Gemeinschaft, Tiefenökologie und die Verbindung mit der Natur.
- Politik darf nicht unterstützen, dass psychische Probleme durch ein Mehr an (Status-) Konsum überdeckt und verdrängt werden. Kommerzielle Werbung sollte beendet und die Gestaltung des freigewordenen öffentlichen Raums demokratisch bestimmt oder für Bildung genutzt werden.
- Psychischer Gesundheit als Voraussetzung für ökologischen Wandel muss ein zentraler Stellenwert beigemessen werden – von der Gestaltung von Kinderbetreuung über gute Arbeitsbedingungen bis hin zu Therapieangeboten für jeden Menschen.
- Die Freiheit von Wissenschaft und Bildung sicherstellen
Ein weiteres Hindernis für die sozial-ökologische Transformation ist der starke Einfluss von Wirtschaft auf die Wissenschaft.
- Außeruniversitäre Erwachsenenbildung wie auch Think Tanks und NGOs, kritischer Journalismus oder Whistleblower*innen fungieren als wichtige Korrektive, gerade auch hinsichtlich ökologischer Fragen. Ihre Förderung und ihr Schutz müssen gesichert und ausgebaut werden.
- Dass vielfach Stiftungslehrstühle oder Abschlussarbeiten von Unternehmen finanziert werden, verzerrt, welche Themen auf welche Art und Weise analysiert werden. Um die Freiheit von Forschung und Lehre zu garantieren, muss Wissenschaft umfassend und langfristig finanziert sein.
- Gegenseitiges Verstehen und demokratische Prozesse fördern
Eine große sozial-ökologische Transformation betrifft alle gesellschaftlichen Bereiche.
- Bildungsprozesse müssen dabei alle Perspektiven einbeziehen, insbesondere auch von einkommensschwachen oder bildungsfernen Gruppen sowie jenen aus dem Globalen Süden.
- Durch innovative Projekte wie den “Bürgerrat Demokratie”, bei dem zufällig ausgeloste Menschen gemeinsam politische Maßnahmen erarbeiten, durch Energiegenossenschaften in Bürger*innenhand oder durch paritätische Mitbestimmung in Unternehmen können Demokratie und Transformation praktisch eingeübt werden.
- Damit ökologische Maßnahmen nicht zu Armut, Rechtspopulismus und Spaltung führen, müssen sie durch starke Umverteilungsmaßnahmen flankiert werden.
- Gelebte Bildung in Praxisräumen der Zukunftsfähigkeit
Strukturwandel findet überall statt. Daher muss jeder Wirtschaftssektor und gesellschaftliche Bereich unter ökologisch-sozialen Gesichtspunkten neu gedacht werden.
- Große Bildungsprogramme sind aufzusetzen – Foren dafür können Universitäten, Akademien, Volkshochschulen und andere Orte der Erwachsenenbildung sein.
- Um Bildung sowie politisches, soziales und ökologisches Engagement für alle Menschen zu ermöglichen, sollte ein eher zu hohes als zu niedriges bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt werden.
- Besonders wertvoll sind Praxisräume, in denen zukunftsfähige Lebens- und Produktionsweisen erprobt werden. Beispiele dafür sind “Commoning”, “Urban Gardening”, Stadtquartiere, Genossenschaften und soziale Bewegungen.
Die Autorin ist Studienleiterin für Wirtschaft und Arbeitswelt, Nachhaltige Entwicklung an der Evangelischen Akademie Tutzing
Hinweis:
Dieser Text ist am 28. Oktober 2021 im Newsletter der Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Erwachsenenbildung AEEB erschienen.
Bild: Studienleiterin Katharina Hirschbrunn (Foto: dgr/eat archiv)
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