Im zweiten Teil unserer Blogreihe “Von Populismus und Sprache und populistischer Sprache” beschäftigt sich die Literatur- und Medienwissenschaftlerin Alix Michell mit dem Wesen der populistischen Rhetorik.
Rhetorik beschreibt die paradoxe Intention durch
die Bestätigung einer bekannten Größe von
Unbekanntem zu überzeugen.[1]
Teil 2
Populistische Rhetorik
Rhetorik ist die Kunst der überzeugenden Rede. Überzeugung kann dabei auf verschiedene Weisen stattfinden. Strukturiert dargelegte Fachkompetenz und Faktenwissen kann unter Umständen ebenso persuasiv wirken wie ein zielgerichteter emotionaler Appell.
In diesem Spannungsfeld zwischen emotionalisierender und faktenbasierter Rede bewegt sich dieser zweite Teil der Reihe zu populistischer Sprache, wenn skizziert wird, was insbesondere populistische Rhetorik als solche auszeichnet.
Überliefert aus der frühen Zeit der Rhetorik, der Antike, ebenso wie aus der Kommunikationsanalyse des 20. Jahrhunderts ist eine mit der Intention der Persuasion verbundene Frage ethischer Natur: Die nach der Bedeutung des Wahrheitsgehaltes der Rede. “Philosophen wie Hans Georg Gadamer, Theodor W. Adorno, Jean-François Lyotard und Jaques Derrida haben intensiv darüber nachgedacht, dass es keine Wahrheit ohne sprachliche Darstellung gibt”[2], schreiben die Kommunikations- und Medientheoretiker Thomas Friedrich und Gerhard Schweppenhäuser im Band “Bildsemiotik”.
Angesichts mancher politischer Redner*innen der Gegenwart mit erschreckender Überzeugungskraft kann jedoch mit Recht die Frage nach der persuasiven Relevanz von Wahrheit – im Sinne von sprachlicher Faktentreue – gestellt werden. Wir erinnern uns an die Flut “alternativer Fakten” die ausgehend von Nordamerika für vier Jahre weltpolitisches Tagesgeschehen prägten – die Relevanz von Wahrheit kann im Kontext populistischer Rhetorik also in Frage gestellt werden.
Aristoteles, dem Urvater der Rhetorik, zufolge verfügt die Rhetorik über drei Arten möglicher Überzeugungsmittel. Das erste Mittel entspringe aus der Gesinnung der Redenden. So definiert Aristoteles, die ideologische Einstellung der an einer Kommunikation Beteiligten sei der überzeugenden Rede wichtigstes Element. “Dem Ehrbaren glaubt man nämlich eher und schneller”[3], argumentiert Aristoteles. Das zweite Mittel zum Zweck der Persuasion oder der Beeinflussung der Hörer*innen sei, sie “durch eine Rede zu einer Leidenschaft hinzureißen.” Erst an dritter Stelle steht für Aristoteles die Argumentation: “Durch Überlegung werden die Hörer überzeugt, wenn man Wahrheit oder deren Schein aus den einzelnen Überzeugungsmitteln erweist.”[4]
Im Falle populistischer Rhetorik scheint Wahrheit bzw. ihr Schein einerlei. Wenn Donald Trump von einer “gestohlenen Wahl” spricht, hat dies mit Fakten nicht unbedingt etwas zu tun und dennoch wird ihm von Teilen der Bevölkerung Glauben geschenkt. Wenngleich sich Trumps Fakten nicht zwingend mit denen der restlichen Gesellschaft decken, gliedern sie sich umso überzeugender in ein ideologisches System ein, in welchem Trump ein Sieger ist – und zwar immer.
Auch Cicero, der berühmteste Redner des antiken Roms war sich dieses Umstands bewusst. Die italienische Kunsthistorikerin Elena Zanichelli fasst seine Ausführungen so zusammen: “zur Wirkung eines Redevortrags tragen (…) – neben den rhetorischen Textstrategien in der Rede selbst (logos) – bei: Charaktermerkmale des Redenden (ethos) und die emotionale Gestimmtheit des Publikums (pathos).” Logos kann hier als interne Struktur des im Kommunikationsakt geteilten ideologischen Systems gelten.
Das System, in welchem diese Regel der Unanfechtbarkeit Trumps oberste Gültigkeit hat, wird von Trump und seiner Anhängerschaft gleichermaßen geteilt. Was der Basisprämisse von Trumps Unanfechtbarkeit nicht entspricht, kann hier schlicht nicht sein (und werden als “Fake News” betitelt). Aussagen hingegen, welche diese bekannte Größe bestätigen, können angenommen werden oder überzeugend wirken.
Der Soziologe und Kulturwissenschaftler Andreas Reckwitz beobachtet, dass dieses hermetische Ideologiesystem insbesondere aufgrund eines “Antagonismus von Innen und Außen” funktioniert, der Inszenierung eines ‘Wir gegen die Anderen‘.[5] Die ideologische Gemeinschaft des ‘Wir’ steht hier in klarer Dichotomie zu dem ‚Anderen‘, eine Dichotomie, die gleichsam den Unterschied zwischen ‘richtig’ und ‘falsch’ oder ‘gut’ und ‘schlecht’ manifestiert. Der Antagonismus von Innen und Außen stellt damit ein wesentliches Element populistischer Rede dar, dieses ‘Wir’ und alle Aussagen, die es definieren, dienen als Basis der persuasiven Dreifaltigkeit von logos, pathos und ethos.
Eine so geartete Dichotomie zwischen dem ‘Wir’ und den ‘Anderen’ legt, um ein Beispiel heranzuziehen, auch der AFD-Politiker Höcke an den Tag. In seiner vielzitierten Dresdner-Rede heißt es etwa:
“Wir gingen dann damals nach Dresden […], und was wir sahen bei den Spaziergängern, das waren keine verschrobenen Sonderlinge, das waren keine wirtschaftlich Abgehängten und das waren auch keine grölenden Nazis, die wir dort antrafen. Wir haben uns dann dem Spaziergang angeschlossen. Und während dieses Spaziergangs sind wir an kreischenden, verhetzten, von induziertem Irresein gekennzeichneten jugendlichen Wirrköpfen vorbeigekommen.”[6]
Höcke eröffnet hier eine Dichotomie zwischen kultivierten Spaziergänger*innen einerseits und einem wahnsinnigen Mob andererseits. Eine differenzierte Betrachtung der Parteien wird nicht vorgenommen, das Eigene aber als berechtigte Position markiert, so etwa später mit dem Wortlaut “in vornehmer und vorbildlicher Art”[7] beschrieben. Konträr dazu wird dem ‘Anderen’ jegliche Mündigkeit oder Befähigung zur Teilnahme am Diskurs abgesprochen.
Die Abgrenzung von dem Eigenen zum Fremden wird im Laufe der Rede auf nationale und internationale Ebene adaptiert, wenn Höcke von seinem Wunsch nach einer Stärkung der Außengrenzen spricht oder beschwört, “unsere einst hoch geschätzte Kultur droht, nach einer umfassenden Amerikanisierung nun in einer multikulturellen Beliebigkeit unterzugehen.”[8]
Ungeachtet historischer Realität suggeriert Höcke hier den Mythos eines Landes, das es vermeintlich einmal gegeben habe, skizziert ein Bedrohungsszenario und plädiert für die Rekonstruktion dies mystischen Zustandes. Diese Mythenbildung zwischen dem Eigenen und dem Anderen sowie einem vagen Gestern und einem anvisierten Morgen dient der Emotionalisierung und Mobilisierung Gleichdenkender.
Sie weist überdies eine narrative Struktur auf. Was das ist und wie sich dessen zentrale Rolle in populistischer Sprache darstellt, wird Gegenstand des dritten Teils dieser Reihe sein.
Alix Michell ist Studienleiterin für Kunst, Kultur, Digitales und Bildung an der Evangelischen Akademie Tutzing.
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Zum ersten Teil der Reihe “Sprache und Politik” gelangen Sie hier.
Bild: Adobe Stock
[1] Zusammengefasst basierte die Rhetorik im antiken Verständnis auf einer Trinität aus Verführung, Verstellung und Täuschung. Neben den Sophisten einerseits, deren Fokus sich vor allem auf die persuasive Wirkung der Rede richtete, betrachteten Größen der Philosophie wie Platon, Aristoteles, Cicero und Quintilian die gelungene, überzeugende Rede als eine Kunst. Ihre Abhandlungen ergänzten das Feld überdies um ethische Überlegungen im Sinne der Suche nach Wahrheit und Recht in der Rede angesichts des Strebens nach Überzeugung.
Vgl. etwa Thomas Friedrich, Bildsemiotik. Grundlagen und exemplarische Analysen visueller Kommunikation, 1. Aufl. (Basel [u.a.]: Birkhäuser, 2010). S. 45.
[2] Ebd. S. 45.
[3] Aristoteles, Rhetorik, hg. von Paul Gohlke, 2. Aufl. (Paderborn: Ferdinand Schöningh, 1959). S. 33.
[4] Ebd. S. 34.
[5] Reckwitz, Andreas: Die Gesellschaft der Singularitäten – zum Strukturwandel der Moderne. Berlin: Suhrkamp 2018, S. 416.
[6] “Gemütszustand eines total besiegten Volkes”, Höcke-Rede im Wortlaut. In: tagesspiegel.de vom 19.01.2017.
URL: https://www.tagesspiegel.de/politik/hoecke-rede-im-wortlaut-gemuetszustand-eines-total-besiegten-volkes/19273518.html (zuletzt geprüft: 19.01.2021).
[7] Ebd.
[8] Ebd.
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