“Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben: schau an der schönen Gärten Zier und siehe, wie sie mir und dir sich ausgeschmücket haben, sich ausgeschmücket haben.“ Paul Gerhardt’s Text (1653) in der Melodie von August Harder (1813) singt Augenblick und Ewigkeit zusammen. Ist’s wieder Sommer, wird es gern gesungen, ja nicht nur Fromme, auch so mancher Skeptiker oder Agnostiker stimmt dieses Lied gern an. Es stimmt ja auch: die Vielfalt der Natur, die Umtriebigkeit der Kreatur, auch das bäuerliche Schaffen, Gottes Güte und so manche Güter reimen sich zum Lob des Lebens. „Ich selber kann und mag nicht ruhn, des großen Gottes großes Tun, erweckt mir alle Sinnen … “ – ein August Hinrich Brockes hat sein Lebenswerk Irdisches Vergnügen in Gott genannt. Paul Gerhardt hätte ihm zugestimmt. „Ach, denk ich, bist du hier so schön und lässt du’s uns so lieblich gehen auf dieser armen Erden: was will doch wohl nach dieser Welt dort in dem reichen Himmelszelt und güldnen Schlosse werden, und güldnen Schlosse werden!“ Der 10. Vers noch nimmt die Antwort vorweg: „Welche hohe Lust, welch heller Schein, wird wohl in Christi Garten sein! … “ Schon verständlich, dass der Dichter gen Himmel singt. „O wär ich da! O stünd ich schon, ach süßer Gott, vor deinem Thron.“
Doch so weit ist es nicht, damals nicht und heute nicht. Mit Paul Gerhardt haben auch wir in der Volksschule, nicht immer begeistert, auch die Verse 12 bis 15 auswendig lernen müssen: „Doch gleichwohl will ich, weil ich noch hier trage dieses Leibes Joch, auch nicht gar stille schweigen …, mein Herz soll sich zu deinem Lobe neigen.“ Im ‚Leibes Joch’, ist da vielleicht doch die Spur einer Klage? Caro cardo salutis, das Fleisch ist der Haken des Heils. Ja, Paul Gerhardt, er musste vielfach ein Hiob’sches Leben erleiden. Kinder starben ihm weg, gradso auch seine Frau sehr jung. „Lieblich“ ist’s ihm nicht ergangen auf dieser „armen Erden“. Doch er klagt, hadert nicht. Kein Hauch vom deus absconditus, vom verborgenen Gott, vielmehr Mut, Demut, die „Autorität der Bitte“ (Eberhard Jüngel): „Hilf mir und segne meinen Geist …, gib, dass der Sommer deiner Gnad, in meiner Seele früh und spat viel Glaubensfrüchte ziehe“. Nicht der ‚bittere Gott’, sondern der „süße Gott“ wird angerufen: „Mach in mir deinem Geiste Raum, dass ich dir wird ein guter Baum“ … . Keine Theodizee, keine Rationalisierung des Bösen, sei’s ein natürliches (malum naturale), sei’s ein menschliches (malum morale) Übel – vielmehr mit Zug zu den letzten Dingen, etwas Eschatologie: „Erwähle mich zum Paradeis und lass mich bis zur letzten Reis … hier und dort ewig dienen“.
Mit einer Anspielung auf’s altdeutsche risan, was reisen und auf(er)stehen bedeutet, nimmt Paul Gerhardt sich zurück. Hegel hat weit hinten in seiner Phänomenologie des Geistes den Weg des Menschen zu sich selbst über die Extreme der Entäußerung als Prozess aus Arbeit und Demut bestimmt. Er führe schließlich vom Wahnwitz des Eigendünkels zum Gesetz des Herzens. So Paul Gerhardt, mag uns seine fromme Lebenshaltung heute auch fremd sein. Doch sein Lied? Manchmal ist es gut, es auswendig zu können, par coeur. Warum nicht mangels eigener sich seine Worte leihen? Gewiss im Sommer, das Leben zu loben, indem man’s feiert. Aber auch, was uns diese Woche, nah und fern, erspart bleiben möge, in Hiob’schen Widerfahrnissen. Selbst wenn die „Metaphysik in Trümmern liegt“ (Adorno): seit Kindertagen haben solche Lieder eine eigene Kraft, im absurden Leid zu trösten, indem sie dem Übel widersprechen, und dem hellen Wahnsinn zu widersprechen, indem sie – alles andere als billig – trösten. Also, heiter weiter: „Geh aus mein Herz und suche Freud!“
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