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“Wir gegen die anderen”

Von Populismus und Sprache und populistischer Sprache.
Studienleiterin Alix Michell beschäftigt sich im ersten Teil dieser kleinen Blogreihe über Sprache mit der Frage, warum Sprache Macht bedeutet und die Wahrnehmung der Menschen prägt.

 

Teil 1
Sprache und Politik

“Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt”[1]

Ludwig Wittgenstein

Sprache verbindet, eröffnet Möglichkeiten, beschränkt, grenzt ein, befreit. Sprache kann vermitteln oder abgrenzen. Sprache verbindet uns mit unserer Umwelt. Doch nicht nur das: Die persönliche Sprachsozialisation prägt unsere Wahrnehmung von Gesellschaft und die Art, wie wir uns zu ihr verhalten. Daraus ergibt sich eine gewisse Verantwortung im Sprachgebrauch. Sprache ist nicht einfach nur Werkzeug, Sprache ist Macht.

Als solche wird Sprache – insbesondere die Sprache einzelner mächtiger Personen – derzeit häufig vor dem Hintergrund eines weltweit erstarkenden Populismus diskutiert: Donald Trump in den USA, der Front National in Frankreich, der Brexit in Großbritannien, die AFD und/oder Coronaleugnende in Deutschland – die Liste mächtiger Populistinnen und Populisten ist lang und wird länger (hier abrufen).

So definiert der Politiker Lars Legath Populismus als “eine in Europa seit den 1970er-Jahren zunehmend verbreitete Strategie zum politischen Machterwerb bzw. -erhalt durch eine starke Emotionalisierung der Politik”[2]

Die Historikerin und Politikwissenschaftlerin Karin Priester greift den Populismus historisch wie geografisch weiter und spitzt den Strategiebegriff auf die sprachliche Ebene zu: “Versteht man Populismus […] als Strategie, Stil oder rhetorische Anrufungspraxis, zeigt er eine ideologische Promiskuität und kann von unterschiedlichsten Bewegungen oder Strömungen vereinnahmt werden. Dann ist Hitler ebenso ein Populist wie Mao Tse Tung.”[3] Populistische Strömungen und ihre Führungsfiguren, so unterschiedlich ihre Ziele und Erscheinung auch sein mögen, mobilisieren und euphorisieren also – mithilfe von Sprache.

Diese Sprache des Populismus wollen wir uns vor dem eingangs genannten Zitat Wittgensteins in drei Teilen näher anschauen. Worauf begründet sich die negative Konnotation, die populistischer Sprache zugesprochen wird, stellt sich Populismus selbst doch unabhängig von Ideologie dar? Und wie sieht populistische Rhetorik überhaupt aus?

Sprache und Welt

Die Journalistin Kübra Gümüşay kontextualisiert das geflügelte Wort des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgensteins von der Sprache als Grenze der Welt in ihrem Buch Sprache und Sein mit linguistischer und kognitionpsychologischer Forschung. Dabei legt sie dar, wie Sprache nicht nur Denken, sondern auch die Wahrnehmung der Welt strukturiert. Wofür wir einen Namen haben, das nehmen wir anders oder intensiver wahr, wenn nicht der Umstand, von etwas einen Begriff zu haben, gar über Wahrnehmung oder Nicht-Wahrnehmung entscheidet. Mit der Möglichkeit zu benennen, wandelt sich unsere Wahrnehmung, wird sie weiter und reicher. Und mehr noch: Nicht nur das ‘Ob’, auch das ‘Wie’ des Benennens spielt in dieser Wahrnehmung von Welt eine besondere Rolle.

Besonders eindrucksvoll finde ich in Gümüşays Ausführungen eine dort skizzierte Beobachtung der Kognitionspsychologin Lera Boroditsky bei den Thaayorre im Norden Australiens. Richtungsangaben wie Rechts und Links sind in der Sprache der Thaayorre nicht bekannt, man orientiert sich an den Himmelsrichtungen. Gümüşays erklärt das “In etwa so: Da ist eine Ameise an deinem Nordwest-Arm.”[4] Dabei können die Thaayorre sozusagen notgedrungen jederzeit bestimmen, wo tatsächlich Nordwesten liegt; oder es dreht sich die besagte Person mit den angesprochenem Ameisenarm um die eigene Achse, in welcher Himmelsrichtung dieser Arm nun zu verorten ist. Die Weise, Richtungen sprachlich bezeichnen, strukturiert somit von klein auf das Denken und die Weltwahrnehmung der Thaayorre. Das geschieht derart, dass Sie sich auf dieser Welt zu verorten wissen, als verfügten Sie über einen eingebauten Kompass.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bin sprachlich mit Rechts und Links sozialisiert und muss mir, möchte ich einmal eine Himmelsrichtung benennen, im Zweifelsfall mit Sonne, Taschenuhr und Merksprüchen wie “Niemals-ohne-Seife-waschen” weiterhelfen.

Sprache und Macht

Dass Sprache unsere Denkstruktur und Handlungsmuster im Verhältnis zu unserer Umwelt derart strukturiert, ist grundsätzlich weder gut noch schlecht. Mit einem entsprechenden Einsatz von Sprache kann Schönes geschehen, kann Trost gespendet, Liebe besiegelt, Verbindung geschaffen werden.

Die Gefahr liegt dort, wo die spezifische Gestaltung und der Gebrauch von Sprache der Manipulation dient, wo sie sich von der Darstellung von Fakten entfernt, bewusst auslässt oder verfälscht, um zu emotionalisieren und zu überzeugen. Fakten zu kennen und sich bewusst für eine bestimmte sprachliche Darstellungsform gegenüber jenen zu entscheiden, die diese nicht kennen, stellt eine Form von Macht dar, die auch Wissenshoheit genannt werden kann. Andere mögen Rhetorik dazu sagen, beschreibt Rhetorik doch die Kunst der überzeugenden Sprache.

Im zweiten Teil dieser kleinen Blog-Reihe über Populismus und Sprache werde ich mich mit populistischer Rhetorik befassen. Er erscheint im Februar 2021.

 

Alix Michell ist Studienleiterin für Kunst, Kultur, Digitales und Bildung an der Evangelischen Akademie Tutzing.
Mehr über sie lesen Sie hier

 

[1] Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus. Logisch-philosophische Abhandlung, Satz 5,6.

[2] Legath, Lars: „Populismus in den EU-Staaten.“ In: Das Europalexikon. Hrsg. v. Martin Große Hüttmann und Hans-Georg Wehling. 2., aktual. Auflage. Bonn 2013. Online: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/177203/populismus-in-den-eu-staaten (09.12.2020).

[3] Priester, Karin: Umrisse des populistischen Narrativs als Identitätspolitik. In: In: Müller, Michael/Precht, Jørn (Hg.): Narrative des Populismus. Erzählmuster und -strukturen populistischer Politik. Wiesbaden: Springer 2019, S. 1–10, hier: S. 2.

[4] Gümüşay, Kübra: Sprache und Sein. Berlin: Hanser Berlin 2020, S. 16.

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1 Kommentar

  1. Joseph Kuhn says:

    Ein weites Feld. Das Wort “Begriff” verweist ja semantisch auf das Greifen. Was man greifen, begreifen kann, darüber verfügt man. Beim Namen wird man gerufen – auch das kann mit Verfügungsmacht verbunden sein, wie z.B. in Beschwörungsformeln oder, sehr anschaulich, im Märchen Rumpelstilzchen vorgeführt wird. Umgekehrt ist man leicht gefangen in der eigenen Sprache. Eine Wechselbeziehung.

    Alle Populisten kennen die Macht der Sprache. Ich bin gespannt auf Ihren zweiten Teil.

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