Ein Beitrag zum 50-jährigen Bestehen der Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Erwachsenenbildung in Bayern e. V.
Wissen, Bildung, lebenslanges Lernen. Drei Stichworte, jedes für sich mit Signalcharakter, die als Synonym für den viel zitierten „Schlüssel zur Zukunft“ stehen. Zugleich handelt es sich um Containerbegriffe, die im jeweiligen Kontext präzisiert werden müssen und nur allzu oft alles und auch gar nichts aussagen.
Der Bildungsmarkt in Deutschland wächst. Auch das kann man für einen Allgemeinplatz halten, denn tatsächlich gibt es ein kaum noch zu überblickendes Feld von Aus-, Fort- und Weiterbildung, dazu Trainings und Beratung u.a.m. Auch im Kontext von Bildungsangeboten für Erwachsene ist eine Erweiterung des Marktes zu beobachten. Überregionale Tageszeitungen bieten Vortragsabende an – mit Kosten für den Nutzer, die keiner der üblichen Bildungsträger zu fordern wagen würde. Und Magazine laden an exklusive Orte mit exklusiven Rednerinnen und Rednern ein. Immer geht es um Bildung.
Zugleich verändert sich der Bildungsmarkt. Nicht alles, was es heute gibt, wird auf Dauer Bestand haben. Die Ursachen hierfür sind unterschiedlich. Und sie sind nicht immer zuallererst dem Bildungsträger anzulasten. Dort, wo z. B. Fördermittelgeber ihre Schwerpunkte verändern, kann dass die Existenz gefährden. Und in alledem stellt sich die Frage: Was muss am Ort angeboten werden? Was braucht es in einer Region? Und wie steht es um die Leuchtturmprojekte?
Die Evangelische Akademie Tutzing wird immer wieder zu den Leuchttüren gerechnet. Und das nicht ohne Grund. Sie ist die einzige Einrichtung der Landeskirche, die den bayernweiten Bildungsauftrag hat – so wie ihn vergleichbare Häuser in anderen Landeskirchen haben.
Konkret lautet das Konzept wie folgt: Die Evangelische Akademie Tutzing führt Menschen aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Medien und Kirche zusammen. Sie versteht sich als ein Ort der Bildung und der Begegnung mit dem christlichen Glauben. Sie will Meinungsbildung möglich machen und fördert durch den Diskurs die Suche nach Lösungen in der Zivilgesellschaft. Sie richtet ihre Arbeit interdisziplinär, interkulturell und international aus. Sie wirkt an der Gestaltung einer verantwortlichen, gerechten und partizipativen Gesellschaft mit.
Die genannten Stichworte je für sich können auch andere Bildungsträger zur Beschreibung der eigenen Arbeit heranziehen. In der Summe und in der Kombination kann man schon von einem Alleinstellungsmerkmal sprechen.
Wo steht die Akademie heute? In einem Haus, das 1947 seine Arbeit aufnahm, darf, ja muss man sich diese Frage in immer neuen Anläufen stellen. Die Zukunft gestalten kann nur, wer die Herkunft kennt und sie zu würdigen weiß. Das gilt auch in Tutzing. Klar ist aber auch, dass die Verdienste der Vergangenheit in der Gegenwart nichts gelten. Aber sie sind mehr als nur Ausstellungsstücke unter Glas.
„Wandel durch Annäherung“ – das Motto der Ostpolitik Willy Brandts, das der damals unbekannte Egon Bahr in einer Tagung des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing 1963 prägte, ist im Rückblick eine Sternstunde diskursorientierter Bildungsarbeit gewesen. Es ist immer wieder erfreulich wahrzunehmen, wie in evangelischen, aber auch in katholischen Akademien darauf Bezug genommen wird. Es wird als gemeinsames Erbe betrachtet, die Zivil- und Bürgergesellschaft voran zu bringen.
Es gibt, wenn ich das richtig recherchiert habe, keine Tagung anderer Bildungsträger, in der gleichsam idealtypisch der Diskurs zu einer Klärung führte, in deren Folge tatsächlich die Geschichte einen anderen Verlauf nahm.
Warum hat sich ein solches Ereignis nicht wiederholt bzw. wiederholen lassen? Es hängt nach meiner Wahrnehmung mit der Ausweitung und Ausdifferenzierung des Bildungsmarktes zusammen – und zwar über die Jahrzehnte. Namhafte Unternehmen haben Stiftungen gegründet und entsprechend ausgestattet, um eigene Impulse zu setzen. Die politischen Parteien haben mit ihren Stiftungen überparteilich anerkannte Dialog-Foren geschaffen. Vor allem aber hat sich etwas auf der Seite der Verantwortungsträger in Politik, Wirtschaft, Kultur, Medien – und auch in den Kirchen – verändert. Als Egon Bahr und Willy Brandt und Konrad Adenauer und andere sich 1963 in der Evangelischen Akademie Tutzing aufhielten, blieben sie mehrere Tage – und diskutierten in immer neuen Anläufen untereinander und mit den Tagungsteilnehmern. Heute ist das unvorstellbar! Die Entscheider haben nicht mehr wie in jener Zeit vielleicht ein, zwei Termine am Wochenende, sondern zehn bis zwanzig.
Hinzu kommt: Wir haben heute mehr Orte und Foren. Und wer seine Ideen in Tutzing präsentiert, der vermittelt sie auch bei jeder anderen Gelegenheit. Deshalb sind Impulse in dieser Eindeutigkeit – wie es bei „Wandel durch Annäherung“ der Fall war – heute nicht mehr eindeutig an einen Ort zu binden. Bundespräsident Joachim Gauck hat beim Jahresempfang in Tutzing eine große Rede auf die Freiheit gehalten. Über dieses Thema hatte er auch schon andernorts gesprochen. Aber erst diese Rede wurde von einem Verlag publiziert – mit Hinweis auf die Evangelische Akademie Tutzing – und nahm über mehrere Monate den Spitzenplatz auf der Sachbuch-Bestsellerliste des Spiegel ein.
Ob auf den vielen Marktplätzen heute wirklich diskutiert wird, oder doch nur Statement auf Statement und Vortrag auf Vortrag folgt – und für die Diskussion meist keine Zeit bleibt, diese Frage darf und muss man stellen. Da ist viel verloren gegangen. Und ob im Zeitalter der Digitalisierung mit seinen großartigen Möglichkeiten, die vielen zu beteiligen, die sich sonst gar nicht einbringen könnten, alles besser geworden ist, das darf und muss man kritisch hinterfragen.
Was bedeutet das für die Gegenwart – und für die Zukunft? Das Mandat, sich als Ort des Diskurses ein ums andere Mal zu behaupten, gilt auch heute und ist in einem Akademiegesetz für unser Haus festgelegt. Zugleich muss das Angebot auf dem Markt Abnehmer finden. Nach wie vor ist die Evangelische Akademie Tutzing eines der Ziele, das Entscheider aus Politik und Gesellschaft ansteuern. Wer hier spricht, trifft auf ein qualifiziertes Publikum und weiß um die Reichweite sowie um die Möglichkeiten der medialen Kommunikation seiner Botschaft von Tutzing aus.
Auf dem Bildungssektor scheint es, liegt bei Diskursangeboten die Messlatte am höchsten. Einen Zwang zur Fortbildung kennen die Gäste der Tutzinger Tagungen nicht. Sie reagieren auf interessante Themen, bei denen das Team der Studienleiterinnen und Studienleiter zeigen muss, dass es entsprechend vernetzt ist und die Hand am Puls des gesellschaftlichen Geschehens hat. Am Ende kommt es auf die Inhalte an. Wobei Schloss und Park auch ihren Teil dazu beitragen, dass die Gäste Bildungsprozessen hier vielleicht aufgeschlossener gegenüber stehen.
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