Von Prof. Dr. Marcus Llanque
Bald neun Jahre dauert der Bürgerkrieg in Syrien. Das oft zitierte Ende ist noch längst nicht in Sicht. Und doch stellt sich die Frage, was nach dem Ruhen der Waffen folgen wird. So schrecklich die Gegenwart des Bürgerkrieges ist, so ungewiss die Zukunft nach dem Ende der Schrecken. Wie sollen die alten Kontrahenten miteinander umgehen? Wie weit reicht der Schatten der Bürgerkriegszeit in die Friedenszeit und überschattet sie? Ist die Verurteilung der Missetäter Voraussetzung eines gedeihlichen Friedens oder unkluge Provokation neuer Unruhen? Wie sollen Forderungen nach Rache, Gerechtigkeit oder Recht vermittelt werden? Und wer darf über die Täter urteilen, wer sie richten? Wie in früheren Bürgerkriegen ist zu erwarten, dass die Sühne unabdingbar ist, aber niemand weiß, ob sie der Weg zur Versöhnung ist oder ihr Hindernis. Soll man verzeihen um des lieben Friedens willens, oder verlangt gerade der Friedenswunsch die Unnachsichtigkeit des Strafrechts?
Lösungsmodelle reichen von der Strenge rechtsstaatlicher Gerichtsverfahren bis zu politischen Interessenkompromissen. Kein Modell des Umgangs befriedigt alle Erwartungen, alle schaffen neue Probleme. Täter werden vielleicht freigesprochen, weil die Beweislast nicht rechtsstaatlichen Anforderungen genügt und für eine Verurteilung ausreicht.
Doch nicht nur die Täter werden im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit in der Zeit nach dem Bürgerkrieg stehen, auch die Flüchtlinge. Die Flüchtlingslager werden nicht in dem Augenblick verschwinden, da die Waffen ruhen. Wurden Flüchtlinge großzügig von Nachbarländern oder von der westlichen Welt aufgenommen, wie es die Humanität verlangt, so stellt sich dann die Frage, ob von ihnen erwartet werden muss, dass sie zurückkehren, um die verwüstete Heimat wieder aufzubauen und die Zivilität wieder zu errichten.
Viel Kulturgut ist verloren, unersetzbare sind Schätze zerstört und damit das kulturelle Gedächtnis wie die kollektive Identität angegriffen. Doch auch andere Länder standen vor gewaltigen Ruinenbergen und haben nicht nur das Land wieder bewohnbar gemacht, sondern auch ihr Kulturerbe wiedererrichtet. Die kollektive Aufbauleistung kann sich als ein Fundament für einen dauerhaften Frieden erweisen.
Sind die internationalen Mächte Garanten des Friedens oder wahren sie nur ihre Interessen? Was als Ausdruck der Verantwortung für Syrien deklariert werden kann, mag sich als zynische Legitimation der Machtpolitik vor Ort erweisen. Kein Handlungsmotiv wird rein ethischer Natur sein, kein moralisch inspirierter Gestaltungswille darf die Realitäten aus dem Auge verlieren, soll er sich nicht naiv verrennen. Wieder einmal wird sich erweisen, dass Politik das starke langsame Bohren harter Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich bedeutet. Das kann auch bedeuten, dass mit Teufeln verhandelt werden muss, in der Hoffnung, dass sie wenigstens Verstand haben. Der Friede ruht nicht nur auf moralischer Gesittung, sondern auch auf gemeinsamen Interessen.
Prof. Dr. Marcus Llanque, Politikwissenschaftler an der Universität Augsburg, ist Mitveranstalter der Tagung „Recht und Sühne – Syrien als Fall für Den Haag?“, die vom 1. bis 3. Februar an der Evangelischen Akademie Tutzing stattfindet. Mehr Infos hier.
Bild: Marcus Llanque (oh)
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