Urbanes

Volkskrankheit Depression

Dr. Joachim Hein, früherer Vorstandsvorsitzender des Münchner Bündnis gegen Depression e.V. und Arzt ist im Januar 2019  zur Tagung „Depression ohne Zukunft?“ zu Gast in Tutzing. In dieser Gastkolumne für unseren „Rotunde“-Blog will er zur Aufklärung über die verbreitete Erkrankung beitragen.

Die Depression ist eines der schlimmsten Leiden überhaupt. Weltweit leiden über 300 Millionen Menschen aller Alterstufen an dieser Erkrankung, in Deutschland sind es über fünf Millionen Menschen. Man geht davon aus, dass jeder fünfte Bundesbürger mindestens einmal in seinem Leben an einer Depression erkrankt. Die Mehrzahl der mindestens 10.000 Suizide, die jedes Jahr in Deutschland verübt werden, geht auf eine Depression zurück. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass Depressionen bis 2030 die größte Krankheitslast in den Industrienationen verursachen – noch vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Dabei sind Depressionen – verglichen mit vielen anderen Erkrankungen – sehr gut behandelbar. Voraussetzung ist allerdings, dass frühzeitig und richtig behandelt wird. Psychotherapie und/oder Medikamente sind die beiden Säulen einer fachgerechten Behandlung. Allerdings erhalten nur zehn Prozent der an einer Depression Erkrankten eine adäquate, d.h. wissenschaftlich abgesicherte Behandlung – ein bei jeder anderen Erkrankung undenkbarer und inakzeptabler Zustand. Ein großes Hindernis stellt immer noch das mit psychischen Erkrankungen einhergehende Stigma dar. Dies hält viele Betroffene davon ab, sich frühzeitig ärztliche Hilfe zu suchen, sprich zur Psychiaterin bzw. zum Psychiater zu gehen. Auch hält sich immer noch hartnäckig das Vorurteil, dass Medikamente zur Behandlung der Depression, Antidepressiva genannt, abhängig machen.

Bei welchen Anzeichen sprechen wir überhaupt von einer Depression? Die drei wichtigsten sind: (1.) gedrückte, depressive Stimmung, (2.) Interessenverlust und Freudlosigkeit sowie (3.) Antriebsmangel und erhöhte Ermüdbarkeit. Bestehen zwei dieser drei Symptome länger als zwei Wochen, kann dies auf eine Depression hinweisen. Daneben können weitere Beschwerden auftreten, wie verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit, übertriebene Zukunftsängste und „Schwarzsehen“, Gedanken oder Versuche, sich selbst zu töten, Schlafstörungen sowie verminderter Appetit. Auch körperliche Beschwerden können Ausdruck einer Depression sein. Das sind zum Beispiel Magen-Darm-Probleme, Schmerzen, Schwindel oder Luftnot. Je nachdem wie viele Anzeichen vorliegen, unterscheiden Fachleute drei Schweregrade der Depression: leicht, mittelschwer und schwer.

Hier zu informieren und aufzuklären, haben sich die über 70 Bündnisse gegen Depression in Deutschland zur Aufgabe gemacht. Das Konzept beruht auf vier Bausteinen: (1.) Kooperation mit bzw. Schulung von Hausärzten als erste Anlaufstelle von Patienten im professionellen Hilfesystem, (2.) Öffentlichkeitsarbeit, (3.) Schulung von sogenannten Multiplikatoren, wie Seelsorger, Altenpfleger und Lehrer sowie (4.) Stärkung und Unterstützung der Selbsthilfe von Betroffenen und Angehörigen.

Das erste Bündnis gegen Depression wurde übrigens Anfang der Nullerjahre in Nürnberg gegründet. Bis dahin gab es so gut wie keine Vereine und Stiftungen, die sich der Volkskrankheit Depression annahmen. Inzwischen gibt es ein reichhaltiges Angebot in diesem Bereich. Stellvertretend seien hier genannt, die Stiftung Deutsche Depressionshilfe, die alle zwei Jahre einen großen Patientenkongress in Leipzig ausrichtet, die Patientenorganisation Deutsche DepressionsLiga, die Robert-Enke-Stiftung, der Verein Freunde fürs Leben, der insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene über Depression und Suizid aufklärt und sehr aktiv im Bereich der Social Media ist, sowie der Verein Irrsinnig Menschlich, der in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz über psychische Erkrankungen aufklärt.

Einen Beitrag zu Information und Aufklärung über die Volkskrankheit Depression möchte auch die Tagung „Depression ohne Zukunft?“ leisten, die am 9. und 10. Januar in der Evangelischen Akademie in Tutzing stattfindet (Informationen zur Tagung über diesen Link). Es ist bereits die dritte Tagung, die die Evangelische Akademie Tutzing mit uns, dem Münchner Bündnis gegen Depression, als Kooperationspartner veranstaltet. Während die erste Tagung „not just sad!“ einen Überblick zu geben versuchte über die vielen Facetten der Erkrankung sowohl aus medizinischer als auch aus religiöser, historischer oder soziologischer Perspektive und die zweite Tagung „Bleibt bei mir!“ sich mit der Beziehung zwischen professionellen Behandlern und Patienten und ihren Angehörigen beschäftigte, richtet sich bei der dritten Tagung der Blick in die Zukunft. Neben der Frage, wie Ärzte und Psychologen Depressionen in naher und ferner Zukunft behandeln werden, wird insbesondere auch die Wechselwirkung der Erkrankung mit zukünftigen Entwicklungen unserer Gesellschaft beleuchtet.

Wir freuen uns wieder auf eine spannende Tagung in Tutzing mit vielen interessierten Besuchern, regem Austausch und bereichernden Begegnungen.

Dr. Joachim Hein

 

Bildnachweis: MBgD / Filmstill aus dem Socail Spot “Lass Dir helfen!” des Münchner Bündnis gegen Depression e.V.

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