Himmel & Erde

Nobel, Nobel… Gedanken zur Auszeichnung von Swetlana Alexijewitsch

„Nobel, nobel“ sagen wir, wenn es um was ganz Edles geht. Bürgt im Reich der Dinge eine Nobelmarke für höchste Exklusivität, so verleiht der Nobelpreis außergewöhnlichen Menschen höchste Anerkennung. Mit dem Literaturnobelpreis 2015 für die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch zeichnet das Wahlkomitee der Schwedischen Akademie nun eine Frau aus, „die vor ihren Büchern Angst hat“ (FAZ vom 9.10.15, S. 9), aber eben zugleich den Mut hat, die aktuellen (wie die vergangenen) politischen Zustände kritisch zu kommentieren: comment taîre, wie verschweigen, was zum Himmel stinkt und schreit? Niemals! Und so schreibt Swetlana Alexijewitsch über Weißrusslands blutige Geschichte, den Tod so vieler Menschen, die Zerstörung so vieler Dörfer, und webt aus den „Chören individueller Erinnerungen“ einen „Gobelin aus beinahe apokalyptischen Beichten“.

Namen und Leiber dürfen nicht unwidersprochen in den Grausamkeiten unsichtbar verstummen! Dies nannte Walter Benjamin die geschichtsphilosophische Aufgabe: den Opfern ein Eingedenken stiften, wozu es eine „schwache messianischen Kraft“ brauche. So hat die 1948 geborene, russisch schreibende Weißrussin persönliche Himmel und Höllen von Kriegen bis Tschernobyl zusammen getragen und entwirft derzeit in ihrer Minsker 2-Zimmer-Wohnung Menschenlandschaften im postsowjetischen Raum. Die „Secondhand-Zeit“ erzählt nun von der Verzweiflung an einer Freiheit, in der das Geld das gesellschaftliche Sein verdirbt. Wenn sie, wie im russischen Märchen, das Ohr an die Erde hält, dann nicht, um etwas Tröstliches zu erzählen, sondern um die Untröstlichen Zeugnis ablegen zu lassen wider den verlogenen Totalitarismus und den provinziellen Faschismus, auch wenn sie in Russland nicht gedruckt wird und nicht auftreten darf.

Sich von der Macht der Anderen weder dumm noch roh machen zu lassen, das bedeutet: „Sapere aude/gnothi auton“ – selber denken, sich erkennen statt zu verkennen (me connaître statt méconnaître im Französischen), sich seines eigenen Verstandes bedienen, um aus der un- oder selbstverschuldeten Unmündigkeit auszuziehen, das ist die emphatische Formel von Immanuel Kant für das Geschäft der Aufklärung. Die Kritik der reinen Vernunft zitieren, heißt für die 1948 geborene Autorin, das Leid der Namenlosen zu zitieren. „Von Ehre ohne Ruhm / Größe ohne Glanz / Würde ohne Sold“ beschreibt Walter Benjamin im Nazideutschland die Haltung nichtkorrumpierbarer politischer Urteilskraft. Wie lernt man diese Haltung, woher nimmt man den Mut, die Kraft, nicht nur „Nein!“ zu sagen, quer zu denken, quer zu sprechen, gegen den Strich zu handeln, aus dem Mainstream zu desertieren, sich unerlaubt aus den diktierten Loyalitäten und Sprachspielen zu entfernen? Denn Applaus kann ja wer aus der Reihe tanzt von den Mächtigen nicht erwarten, auch nicht bloß Liebesentzug oder polternder Ärger.

Vielmehr droht auch ihr Gewalt. Doch sie bleibt, widerspricht, widersteht – lebt ihren frühesten Buchtitel, der Krieg hat kein weibliches Gesicht (1985). Wenn z.B. hierzulande eine Fürstin sich um ihr Golf-Handicap sorgt („Die Sicherheit, die wir gewöhnt waren, zu haben, wird es nicht mehr geben. Genießen Sie das Golfspielen, solange es noch geht!“,  Gloria von Thurn und Taxis, SZ, 10./11.15, S. 86), dann hat für die Nobelpreisträgerin der Mitmensch in Not absolute Priorität. Gibt es in all den Traumata für die Traumatisierten vielleicht einen Traum? Zumindest zeigt die Nobelpreisträgerin, die ihre Auszeichnung den Gequälten widmet, eine noble Spur: „den Weg vom Wahnwitz des Eigendünkels zum Gesetz des Herzens“ (Hegel, Phänomenologie). Dogma und Konsum, Ego und Selfie reichen dazu nicht. Swetlana Alexi-jewitsch beherzigt diesen Weg der Entäußerung, der, so der Philosoph, nur „über Arbeit und Demut“ gehe. Ihr Ethos zeigt, dass es kein Prinzip Hoffnung ohne Prinzip Verantwortung gibt, keinen Traum ohne die Tat einer solidarischen Zuwendung zum Andern. Was für eine Frau    … . Und wir, und ich?

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