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„Kirche auf gutem Grund“ – Anmerkungen zum EKD-Papier

Die Gesellschaft verändert sich. Wie kann die Kirche dabei ihrem Auftrag gerecht werden? In elf Leitsätzen unternimmt eine Arbeitsgruppe der Evangelischen Kirche in Deutschland eine Standortbestimmung. Akademiedirektor Udo Hahn würdigt ihren Vorstoß – vor allem, weil der Bildung eine Schlüsselfunktion beigemessen wird. 

Englischkenntnisse sind keine Voraussetzung, um die jüngste Veröffentlichung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu verstehen – aber dennoch hilfreich. „Lock up!“ steht auf dem Titel – wörtlich übersetzt heißt das: abschließen, einsperren. Doch das „c“ ist durchgestrichen und durch ein „o“ ersetzt. Dann ergibt sich ein ganz anderer Sinn: aufblicken, nachschlagen. Man merkt sofort: Die Korrektur ist Absicht. Man mag das für eine Spielerei halten, aber der Clou ist zu schön, als dass sich die EKD-Strategen dies entgehen lassen wollten.

„Kirche auf gutem Grund – Elf Leitsätze für eine aufgeschlossene Kirche“, lautet der offizielle Titel der Veröffentlichung. Verantwortet wird sie vom Z-Team, einer Arbeitsgruppe, der jeweils vier Menschen aus den drei Leitungsgremien der EKD (Rat, Synode, Kirchenkonferenz) angehören sowie zusätzlich drei junge Erwachsene aus dem Umfeld der Synode. Eine Anspielung an das A-Team, eine Elitetruppe, die in der gleichnamigen US-amerikanischen Action-Kultserie aus den 1980er Jahren jedes, aber auch wirklich jedes Problem löst, ist sicher nicht beabsichtigt, aber auch nicht völlig abwegig. Das Z-Team steht für „Zukunftsteam“, so ist es auf der EKD-Seite als Erläuterung in Klammer zu lesen.

Den Autorinnen und Autoren geht es um eine gute Zukunft für die Kirche. Dazu braucht es kluge Ideen – und Gottvertrauen. Dass es angeblich an beidem fehlt, das haben Kritiker von ihren universitären und anderen Hochsitzen und von so manchem Elfenbeinturm herab dem EKD-Papier sogleich bescheinigt. Ohnehin ist es eine gewohnte Übung, praktisch alle Verlautbarungen aus Hannover mit spitzen Fingern anzufassen bzw. am Maßstab einer Bekenntnisschrift zu messen. Und wenn dann auch noch ausgerechnet die Begriffe nicht vorkommen, die der eigene Wort-Scanner für theologisch unverzichtbar hält, dann bleibt von einem solchen Text ohnehin nichts mehr übrig.

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich finde die elf Leitsätze gut! Man sollte sie für das nehmen, was sie sind: „die Basis der Diskussion und Entscheidungsfindung für die Weiterentwicklung der evangelischen Kirche“ – so die Gebrauchsanweisung auf der Website der EKD. Und Weiterentwicklung heißt: Um den Herausforderungen von heute und morgen gerecht zu werden, sind die Antworten von gestern nicht (mehr) zielführend.

Die Stärke des Papiers sehe ich darin, dass zusammengedacht wird, was sonst meist nur als nebeneinander bestehend angesehen wird und in der Vergangenheit oft genug – leider – als Zentrum und Peripherie verhandelt wurde. Damit könnte jetzt endgültig Schluss sein. Im Mittelpunkt werden seit jeher Verkündigung, Seelsorge, Diakonie gesehen – auch Mission. Bildung und Medien zum Beispiel gehören nach dieser Lesart nicht zum Kern kirchlichen Handelns. Der Neuansatz des Strategiepapiers besteht nun darin, Kirche konsequent als Ellipse zu denken – mit zwei Brennpunkten: der Gemeinde und den übergemeindlichen Aufgaben. Im Kern ist das nicht neu, denn so arbeitet Kirche bereits. Aber die Bildung auf eine Ebene mit Verkündigung, Seelsorge, Diakonie und Mission zu stellen, kommt kaum vor. Meist nur – Achtung Ironie –, wenn ein Philipp Melanchthon-Jubiläum gefeiert wird. Dass Glaube, Bildung, Orientierung zum Revolutionären der Reformation Martin Luthers und seines Mitstreiters Melanchthon, dem Nestor evangelischer Bildungsarbeit gehören, daran muss immer wieder erinnert werden. Bildung ist eine Schlüsselfunktion – auch und gerade im Blick auf den christlichen Glauben. Natürlich wird niemand ernsthaft die Bedeutung von Bildung bestreiten. Das EKD-Papier geht aber auf ihr Potenzial für eine zukunftsfähige Kirche ein. Dieses auch zu nutzen, ist zwingend. „Sprachfähigkeit, Dialogbereitschaft und ein authentisch gelebter Glaube sind für ein kommunikatives Handeln der Kirche unerlässlich“, schreiben die Strategen. Das Ziel ist, Christinnen und Christen zu befähigen, am zivilgesellschaftlichen Dialog teilnehmen zu können. Diesem Auftrag dient die kirchliche Bildungsarbeit – etwa mit ihren Akademien. Das sind nachprüfbar verlässliche Resonanzräume kirchlichen Handelns, „in denen Herz und Seele berührt und zeugnishafte Präsenz in der Gesellschaft bestärkt werden“. Und die so notwendige Vernetzung mit der Zivil- und Bürgergesellschaft, mit kirchennahen und -fernen Mitgliedern und mit allen Zeitgenossen guten Willens ermöglicht, dass Kirche in der pluralen Gesellschaft vernehmbar ist und bleibt.

Manche Kritiker, so scheint es, sehen die Kirche nur in den Strukturen von Gemeinde am Ort. Das war zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch so. Jetzt geht es darum, Leitlinien für die Kirche zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu entwickeln. Der innerkirchliche Diskurs ist nach meiner Beobachtung schon viel weiter als es Kritiker oft wahrnehmen. Ich halte es mit einem Satz von Dietrich Bonhoeffer, adressiert an seinen Freund Eberhard Bethge: „Die Kirche muss aus ihrer Stagnation heraus. Wir müssen auch wieder in die freie Luft der geistigen Auseinandersetzung mit der Welt. Wir müssen es auch riskieren, anfechtbare Dinge zu sagen, wenn dadurch nur lebenswichtige Fragen aufgerührt werden.“ Kirche für andere – das war Bonhoeffers Grundgedanke. Kirche für sich – das wäre eine Kirche auf dem Rückzug in ein vermeintliches Idyll, das sich am Ende als Bunker herausstellt, ohne Kontakt zur Außenwelt – und auch abgeschnitten von der Kraft des Heiligen Geistes. Bildung und Medien sind vor diesem Hintergrund zentrale Lebens- und Wesensäußerungen der Kirche – und stehen auf einer Ebene mit Verkündigung, Seelsorge, Diakonie, Mission.

Das EKD-Papier hat neben Lock/Look up und „Kirche auf gutem Grund“ noch eine dritte Überschrift – ein programmatisches Wort aus dem Alten Testament: „Hinaus ins Weite“ (2. Sam. 22,20). Das ist gut gemeint. Und diejenigen, die ohnehin couragiert ins Offene, ins Weite streben, mag ein solcher Vers sogar ermutigen. Wie auch Psalm 31,9: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ Aber anderen macht genau dies Angst. Bildlich gesprochen: Sonne und Regen, Hitze und Kälte ausgesetzt zu sein – natürlich ohne jeden Schutz. Um möglichst alle/viele mitzunehmen – das ist ja der Anspruch von Kirche – hätte ich aktuell ein Wort des Apostels Paulus bevorzugt: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft der Liebe und der Besonnenheit“ (2. Tim. 1,7). Es nimmt ernst, dass Menschen Angst haben. Und dieser Angst gilt es, mit Entschiedenheit und Entschlossenheit entgegenzutreten – mit einer Kraft, die dem Glaubenden verheißen ist.

Ich bleibe dabei: Das EKD-Papier ist nützlich zu lesen. Es skizziert gut den Rahmen, in dem kirchliches Handeln nötig ist, ohne schon alle Fragen zu beantworten. Die Diskussion ist eröffnet.

 

Udo Hahn
Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing

Hinweis:
Die elf Leitsätze der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) können Sie unter diesem Link nachlesen.

 

Bild: Udo Hahn (Foto: Haist/eat archiv)

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