Himmel & Erde

Gottes Nähe ist kein einfaches Glück – Eine verharmlosende Jahreslosung und unser politisches Engagement

1. Billige Gnade – das Problem mit der verharmlosenden Jahreslosung

„Gott nahe zu sein ist mein Glück“ – Gegen die reduzierte Jahreslosung aus Psalm 73,28 sträubt sich in mir einiges. Zu gefällig, zu nett, zu wenig glaubwürdig scheint mir diese Losung angesichts der realen Ambivalenzen meines Lebens zu sein. Sie erinnert mich eher an den Titel eines verquasten Liebesromans oder an einen Esoterikratgeber.

Der Vers beginnt in der verwendeten Einheitsübersetzung auch viel spannungsreicher mit einem „ich aber“. Wie epd berichtet, wurde dieser trotzige Versanfang nachträglich gestrichen, weil Werbefachleute es zu lang fanden: „Passt auf keinen Kaffeebecher“.

Diese Verharmlosung und Verkürzung empört mich. Das „ich aber“ verweist darauf, dass der Beter sich gegen etwas und für Gott entscheidet. Das muss deutlich werden und darum möchte ich dem ganzen Psalm 73 sein Recht geben. Ein Psalm der uns die Unterscheidung lehrt zwischen berechtigter und unberechtigter Kritik. Ein Psalm, der mit dem Vers 28 endet aus dem unsere Jahreslosung herausgeschnitten wurde.Einen langen Gedankengang abschließende heißt es vollständig in der Einheitsübersetzung: „Ich aber – Gott nahe zu sein ist mein Glück. Ich setze auf Gott, den Herrn, mein Vertrauen. Ich will all deine Taten verkünden.“

Wenn daraus wird: „Gott nahe zu sein ist mein Glück“, dann bleibt von dem Glück mit Gott, das mit Vertrauen zusammen hängt, nur simples Glück übrig und das ist zu einfach. Verschwiegen wird, dass sich das Glück der Gottesnähe nur verstehen lässt im scharfen Gegensatz zum Glück des Gottlosen. Weil es sich vom Glück der Gottesfernen unterscheidet – darum setzt der Vers mit einem entschlossenen „ich aber“ ein. Und schließlich werden in der Losung auch die Konsequenzen dieses Glücks verschwiegen: „Ich will all deine Taten verkünden.“ Die Gottesnähe ist verbindlich und kann nicht folgenlos bleiben. Auch hier verkürzt die Losung, indem sie die Konsequenzen verschweigt.

Sie verstehen vielleicht, warum diese Losung meinen Widerspruch hervorruft. Das aus dem Zusammenhang gerissene Zitat verharmlost den Bibeltext. Ich will darum fragen, ob mein Leben mit Gott wirklich glücklicher ist? Und woran könnte man dieses Glück erkennen? Schließlich frage ich mich, ob die Nähe Gottes wirklich so erstrebenswert ist.

2. Gottes Nähe ist gefährlich

„Und einer rief zum anderen und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens, und das Haus ward voll Rauch. Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe!“

So beginnt die Berufungsgeschichte Jesajas. Wie beginnen unsere? Und wie enden unsere Predigten? Klingt das „Weh mir, ich vergehe“ noch nach?

Am 31. Dezember 1823 sagt Goethe zu Eckermann: „Die Leute traktieren den göttlichen Namen, als wäre das unbegreifliche gar nicht auszudenkende höchste Wesen nicht viel mehr als ihresgleichen. Sie würden sonst nicht sagen: der Herrgott, der liebe Gott, der gute Gott. Wären sie durchdrungen von seiner Größe, sie würden verstummen und ihn vor Verehrung nicht nennen mögen.“

Als Abraham sich Gott naht, um für die Einwohner Sodoms zu bitten, tut er das ängstlich und verzagt: „Ich habe mich unterwunden mit dir zu reden, ich, der ich Erde und Asche bin.“ (1. Mose 18,27)

Von Gottes Nähe darf man nur sprechen, wenn man sich der prinzipiellen Gottesferne bewusst ist, unserer Unmöglichkeit, uns Gott zu nähern. Der Theologe Karl Barth hat es in seinem Römerbriefkommentar auf den schlichten Merksatz gebracht: „Gott im Himmel und du auf Erden.“ Er meinte, dass wir mit unseren Theologien irgendwann an ein Wegkreuz kämen, wo unser Weg endet. Und an diesem Wegkreuz sähe die Bibel Jesus Christus.

3. Der ganze Psalm und die einfache Kritik an den Reichen

Gott nahe zu sein ist mein Glück behauptet die Jahreslosung aus Psalm 73,28 in der Einheitsübersetzung. Ich schaue mir den ganzen Psalm genauer an und bin überrascht: Der hier betend sein Glück behauptet ist gar nicht glücklich!

Es ist ein zutiefst angefochtener Mensch, unsicher darüber, wie es mit Gottes Nähe und unserem Glück wohl bestellt ist. Einer, der irre daran wird, dass der Lauf der Welt so ist, wie er ist. Er leidet am Glück der anderen: Die Reichen werden immer reicher, die Gottlosen fühlen sich überlegen, die Orientierung an Werten gilt nichts mehr. Das alles könnten auch unsere Gedanken sein.

Der Psalmbeter stellt fest: Geld regiert die Welt; Gesundheit und persönliches Glück sind alles, was soll da noch die Religion?

So fasst der Psalmist in Vers 12 die Lage zutreffend zusammen: „Siehe, das sind die Gottlosen; die sind glücklich in der Welt und werden reich.“

Und man spürt seinen ganzen Ärger, der Neid über die anderen, die ohne Moral erfolgreich sind, der Ärger, selber immer mit dem eigenen Skrupel leben zu müssen – dieses verdammte Gewissen, das uns den ganzen Spaß am Leben versaut.

Mit solch galliger Haltung lässt sich bittere Kritik formulieren: „Krieg den Palästen, die Banker sind an allem Schuld, die Menschen denken nur noch an sich, diese Gesellschaft ist ungerecht.“

4. Das Problem der einfachen und wohlfeilen Kritik

So sehr diese kritischen Sätze wahr sein können, so wenig sind sie wahrhaftig in der Haltung dessen, der sie ausspricht. Wer so kritisiert, ist selber gefangen, sein Blick ist gebannt vom Vorteil und Besitz der anderen. Es gibt eine in der Sache berechtigte Kritik, die aber ihren Sitz im Neid, in der Missgunst hat.

Und diese Kritik ist wie eine Krankheit. Wenn man voller Neid ist, empört über die anderen, wenn der Blick vernichtend und der Tonfall scharf ist, dann stimmt etwas nicht. Wir kennen das von unseren Tagungen und Veranstaltungen, manchmal sind es unsere eigenen Sätze: „Die Kirche müsste endlich mal“ so fangen sie an. Oder: „Die da oben haben ja keine Ahnung“.

Die vorgetragenen kritischen Beobachtungen sind präzise wie gnadenlos, die Gründe sind durchaus nachvollziehbar und berechtigt, und doch ist der Wurm darin. Etwas stimmt nicht an dieser Form der Kritik, die im kirchlichen Raum manchmal für sich in Anspruch nimmt, prophetisches Wort zu sein.

Das erkennt auch der Beter des Psalms, und zwar im Hause Gottes (V. 17). Über seine neidische, überkritische Haltung sagt er: „Als es mir wehe tat im Herzen und mich stach in meinen Nieren, da war ich ein Narr und wusste nichts, ich war wie ein Tier vor dir.“ (V. 21-22)

Was für ein Bild einer kritischen Selbsterkenntnis! Gewonnen in Gottes Nähe. Er erkennt: Nicht der Inhalt der Kritik ist unberechtigt, das Problem ist der leichtfertige Vortrag, die wohlfeile Kritik, die nichts kostet.

Wir kennen das auch von uns, wie schnell sind auch wir mit schneller und einfacher Kritik zur Hand, und zugleich spüre ich jedenfalls, dass dieses eine Kritik ohne Vollmacht und ohne Kraft ist, eine Kritik, die sich aus mir selber kommt und nicht aus der Kraft Gottes. Bloßes Gemecker und keine echte Ansage.

5. Vollmächtige Kritik

Gibt es einen heiligen Zorn Gottes? Einen unbedingten Zorn, vor dem es kein Entkommen gibt? Im Psalm 73 heißt es, dass die auf Kosten der anderen leben, die für ihr Glück schon selber sorgen, aber Gott nicht mehr im Blick haben, damit nicht durchkommen werden. Über sie sagt der Psalm:

„Wie werden sie so plötzlich zunichte! Sie gehen unter und nehmen ein Ende mit Schrecken.“ ( Vers 19) „Die von dir weichen, werden umkommen; du bringst um alle, die dir die Treue brechen.“ (Vers 27)

Es gibt sie, die vollmächtigen Worte schärfster Kritik. Sie kommen nicht daher, dass wir auf die Menschen schauen. Sie erwachsen aus der Orientierung an Gott. Vollmacht kommt nicht aus der Sünde des neidischen Vergleichens.

Mit dieser Erkenntnis nähern wir uns langsam wieder Gott, dessen Nähe doch unser Glück sein soll. Aber wenn Gott mir nahe kommt, dann nicht ohne sein Gericht und dann: „Wehe mir!“ Denn ich weiß, auch ich bin nicht so, wie ich sein sollte und sein könnte. Auch ich schiele mit Neid nach dem Reichtum anderer, auch ich versuche mein Glück zu arrangieren und meine Kompromisse mit den Orientierungen und Geboten Gottes zu machen.

Darum ist die erste Erkenntnis angesichts der Jahreslosung: Wir sind der Nähe Gottes nicht würdig. Das ist der erste und notwendige Satz. Aber mit diesem Satz zugleich fällt Licht in mein Dunkel, durchstößt eine befreiende Erkenntnis mein Erschrecken: Weil ich nicht zu Gott kommen kann, kommt er zu mir. Und zwar so dass ich es ertragen kann. Er kommt als Kind in der Krippe, als Mensch am Kreuz. Gott macht sich mir niedrig, damit ich glücklich werden kann.

6. Zu wem kommt Gott?

Wenn Gott von sich aus kommt, wenn er sich niedrig und gering macht wie wir Weihnachten gesungen haben, und wenn wir nichts dafür tun können, sind damit auch alle Maßstäbe erniedrigt? Ist es dann gleichgültig, wie wir leben und wonach wir streben? Gibt es das Glück umsonst? Nein, die Maßstäbe für die Beurteilung unseres Tuns sind nicht ermäßigt, denn er kommt zuerst zum Gericht.

Spannend bleibt die Frage, wer denn die verheißene Nähe Gottes zu spüren bekommen soll. Das biblische Zeugnis ist da ziemlich eindeutig: Er kommt nicht nach Jerusalem in die achtbare Hauptstadt, sondern nach Bethlehem in die verachtete Provinz. Er kommt nicht zu denen, die Gestaltungsmacht haben, sondern zu denen, die ohnmächtig sind. Seine Eltern sind arm, Hirten vom Rand der Gesellschaft erfahren zuerst von ihm, und auch die drei Weisen haben einen langen Weg zurück legen müssen, bis sie ihn sehen durften.

Und folglich werden wir annehmen können: Er kommt zu den Witwen und Waisen, den Sozialhilfeempfängern und Romafamilien, er kommt zu Aidskranken und Flüchtlingen. Wir können uns wie die drei Weisen auf die Suche nach ihm machen und zu ihnen gehen, oder nach Weißrussland oder nach Syrien, in die Flüchtlingslager Afrikas und die Fabriken in Bangladesch.

Ich sage das mit einem ziemlichen Unbehagen. Denn es könnte leicht wie billige Kritik wirken. Die immer gleichen Beispiele, die mir einfallen, sind auch nur Klischees. Armut allein qualifiziert nicht für Gottesnähe. Aber Reichtum, dass ist die Erfahrung der Bibel, verstellt schnell die Wahrnehmungsfähigkeit für Gottes Nähe.

Und darum beschämt mich die Jahreslosung, weil ich diese Nähe Gottes so selten spüre, ja mir nicht einmal seine Abwesenheit auffällt. In Tagungen und bei Veranstaltungen der Akademie beklagen wir mit guten Gründen die Ungerechtigkeiten dieser Welt. Das müssen wir auch tun und an der Verbesserung arbeiten. Aber die Nähe Gottes habe ich an anderen Stellen erlebt: bei der Begleitung eines Sterbenden, im langen Gespräch mit einem Wohnungslosen, in nächtlichen Gesprächen mit Freunden, im Schweigen auf einem Pilgerweg. Und meistens wurde mir das erst im Rückblick bewusst. Und manchmal habe ich solche Erfahrungen auch in der Akademie gemacht. Ich erinnere mich an wahrhaftige Begegnung, an Menschen, die sich getraut haben, ihre Schwächen nicht zu verbergen, an Situationen ehrlicher Offenheit und gemeinsamer Suche nach Wahrheit. Ich denke, es waren Augenblicke, in denen die Kompliziertheit dieser Welt auf weniges Wichtige reduziert wurde, ohne zu vereinfachen.

Gott nahe zu sein, ist mein Glück. Er wäre mir vielleicht schon nahe, wenn ich nicht soviel aufhäufen würden, das zwischen uns steht. Wenn meine Kräfte nicht so gebunden und meine Aufmerksamkeit nicht so ablenkt wäre. Wenn mein Vertrauen bei ihm wäre und nicht bei meinen Versicherungen, meinem regelmäßigen Einkommen, meinen Sicherheitsbedürfnissen.

Wegen der Gottesdistanz ist auch unsere Vollmacht so schwach. Vielleicht sind deshalb unsere kirchlichen Verlautbarungen nach mehr Gerechtigkeit so wenig wirksam, weil sie so wenig aus der Erfahrung kommen? Ich wünsche mir evangelischen Akademien in Deutschland, die zu Orten der Vollmacht werden, der Gottesnähe, gerade für diejenigen, die ihn suchen und nicht finden konnten. Das wird nicht ohne Beunruhigung gehen, aber wenn wir uns darauf einlassen wird es auch kraftvoll, weckt Widerstand und setzt Energien frei. Dann beginnt der Wind Gottes zu wehen. Mitten unter uns, ganz nahe.

 

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