Es ist inzwischen eine Binsenweisheit: Die Digitalisierung erfasst alle Lebens- und Arbeitsbereiche. – Man mag diese Aussage für übertrieben halten. Niemand sollte sie jedoch ignorieren. Auch die Evangelische Akademie Tutzing befasst sich mit diesem Thema. Einerseits wird es unter spezifischen Gesichtspunkten in Tagungen diskutiert – wenn es etwa um die Macht der Datenkraken geht, Big Data, 3-D-Druck, Datenschutz und anderes mehr. Andererseits berührt es auch die Arbeit der Studienleiterinnen und Studienleiter.
Meine These lautet: Das Berufsbild wandelt sich derzeit so stark wie das von Journalistinnen und Journalisten seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Zur Erinnerung: Damals war es durchaus üblich, dass Redakteurinnen und Redakteure ihre Texte auf Band diktierten, die dann von Sekretärinnen abgetippt und von Schriftsetzern verarbeitet wurden. Die Bildredaktion sorgte für die passende Optik – kurzum: Am Entstehen einer Zeitungsseite waren viele Hände beteiligt – bis der technische Fortschritt auch hier Einzug hielt, der Desktop-Publishing, Publizieren vom Schreibtisch aus, also den rechnergestützten Satz von Bildern und Texten möglich machte. Diese Entwicklung machte es möglich, viele Arbeitsschritte in die Hand des Redakteurs zu verlagern. Der schreibt seither seine Texte selbst am PC, besorgt das Bildmaterial und konzipiert in Abstimmung mit der Anzeigenabteilung das Layout der Seite. Auch im Bereich von Hörfunk und Fernsehen vollzieht sich eine Verdichtung der Arbeit. Video-Journalisten sind hier als Beispiel zu nennen. Sie nehmen die Aufgaben eines Journalisten, Tontechnikers, Kameramannes und Cutters in einer Person wahr. Mit Hilfe der Digital-Video-Technologie konzipiert, dreht und schneidet er filmische Beiträge praktisch im Alleingang. Die technischen Möglichkeiten machen es möglich, beim öffentlich-rechtlichen wie beim privaten Hörfunk und Fernsehen die bislang getrennten Bereiche von Text, Bild und Ton in gemeinsamen Redaktionen zu bündeln, Stichwort Trimedialität.
Marktplätze der digitalen Welt
Einen vergleichbar radikalen Wandel sehe ich in der Arbeit von Studienleiterinnen und Studienleitern. Er ist eng mit der Digitalisierung verbunden. Bisher haben Studienleiter zu einem bestimmten Thema eine Wochenendtagung konzipiert, sich also überlegt, wie viele Referentinnen und Referenten von Freitag Abend bis Sonntag Mittag benötigt werden, wie der Spannungsbogen aussehen muss, um ein attraktives Programm für möglichst viele Gäste zusammen zu stellen. Zusammen mit einer Assistentin und Grafikerin gewann das Vorhaben Gestalt. Er Tagungsflyer wurde sechs bis acht Wochen vor Beginn der Tagung verschickt und die Anmeldungen registriert. Die Tagung wurde durchgeführt – und hinterher unter organisatorischen und inhaltlichen Gesichtspunkten ausgewertet. Diese Vergangenheit bestimmt weithin die Gegenwart – aber es handelt sich, zugespitzt formuliert, um ein Auslaufmodell.
Wir haben im Jahre 2013 Prof. Dr. Heribert Prantl, Mitglied der Chefreaktion der Süddeutschen Zeitung einen der profiliertesten Publizisten in unserem Land, in eine Kollegiumsklausur eingeladen. Wir wollten von ihm wissen, wie er unsere Arbeit einschätzt – und in welche Richtung wir uns weiter entwickeln sollen/müssen. Prantls Einschätzung lässt sich in zwei Sätze fassen: Die Evangelische Akademie Tutzing ist ein Begegnungs- und Kompetenzzentrum. Dies muss sie zukünftig auch in der digitalen Welt sein.
Die Akademie ist ein Ort der Begegnung, an dem seit nunmehr siebzig Jahren Vortragende wie Gäste im persönlichen Gespräch über die Herausforderungen unserer Zeit um Orientierung ringen. Meinungsbildung, selber denken (lernen) – das macht die gemeinsame Anwesenheit an einem Ort möglich. Dabei handelt es sich inzwischen nicht mehr um ein exklusives Modell des Diskurses. Meinungsbildung geschieht heute auch im Internet, im World Wide Web, in den Social Media. Die Digitalisierung macht es möglich, unabhängig von Ort und Zeit, Informationen zu sammeln, sie in der virtuellen Welt zur Diskussion zu stellen und zu diskutieren. Tatsächlich ist die Welt zum global village, zum globalen Dorf geworden, wie es der Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan 1962 prägte. Und um im Bild zu bleiben: Zu einem Dorf gehört ein Marktplatz. Ein Ort, an dem viele ihren Stand aufbauen und ihre Produkte und Ideen anbieten (können). Das Bild vom Marktplatz ist nicht neu. Schon der Apostel Paulus hat zu seiner Zeit den Ort des Meinungsstreits schlechthin, den Areopag, aufgesucht und Menschen für die Sache des christlichen Glaubens zu interessieren versucht.
Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, neue technische Möglichkeiten zu nutzen. Idealerweise geschieht dies nicht unkritisch. So hat die Evangelische Akademie Tutzing ihre Kommunikation in den letzten fünf Jahren online ausgebaut. Sie hat ihre Website nutzerfreundlich umgestaltet, einen Account auf Facebook, Twitter und Youtube etabliert sowie einen monatlichen E-Mail-Newsletter eingerichtet. Und sie hat zusammen mit einem Dienstleister – dem Evangelischen Presseverband für Bayern – ein Online-Magazin etabliert: die „Tutzinger Thesen“ (www.tutzinger-thesen.de). Ausgewählte Tagungen werden journalistisch begleitet und die Ergebnisse redaktionell aufbereitet auf den genannten Plattformen kommuniziert, auch in bewegten Bildern. Und einmal im Jahr erscheint eine gedruckte Ausgabe der „Tutzinger Thesen“.
Im Lichte der neuen Möglichkeiten ist es die Aufgabe von Studienleiterinnen und Studienleitern, schon die entstehende Tagungsidee mit an diesem Thema interessierten Menschen zu diskutieren. Durch die Beteiligung von potentiellen Gästen kann der inhaltliche Aufriss noch besser auf die Nutzer zugeschnitten werden. Durch die Kolumne einer Referentin oder „Drei Fragen an…“, ein Interview mit einem Referenten, lässt sich schon lange vor dem Versand des fertigen Einladungsflyers ein Diskurs mit Interessierten beginnen. Die Idee der Social Media besteht darin, dass Menschen anderen von ihren Entdeckungen berichten und so die Zahl potentieller Gäste wächst. Gewiss, es werden nicht alle kommen. Aber wer so arbeitet, macht neugierig auch auf andere Aktivitäten einer Denkwerkstatt, wie es die Evangelischen Akademie Tutzing ist.
Die Möglichkeiten sind verheißungsvoll – und die Realität? In ihr besteht viel Luft nach oben. Der Auftrag der Akademie lautet, Gäste zur persönlichen Begegnung nach Tutzing zu locken. Nicht nur zu Wochenendtagungen, auch zu abendlichen Podiumsdiskussionen. Wollte man eine Tagung auch noch multimedial aufbereiten – Livestreaming anbieten, eine Veranstaltung über Social Media begleiten, sie gar in Form der „Tutzinger Thesen“ anbieten, dann würden sich die Kosten für die Organisation einer Tagung praktisch verdoppeln. Die Kosten stecken dabei weniger in der Technik, als vielmehr im Personal, das Inhalte redaktionell aufbereitet. Das ist nicht nur sinnvoll, sondern auch geboten, um Zeitgenossen, die nur mal im Vorübergehen etwas aufnehmen wollen, diese Möglichkeit auch zu bieten.
Vorankommen ist auch eine Frage der Haltung
Finanzmittel der genannten Größenordnung stehen allerdings nicht zur Verfügung. Das kann man bedauern. Denn wenn man nichts oder nur wenig anbieten kann, dann ist das Angebot in der virtuellen Welt wenig nachhaltig. In der realen übrigens auch nicht. Wer nur alle vier Wochen seinen Stand auf dem Marktplatz aufstellt, fängt praktisch immer wieder von neuem an, sich bekannt zu machen. Vor diesem Hintergrund wäre es nur logisch, die Anstrengungen auszubauen, mindestens aber substantiell zu erweitern – und finanzielle Mittel hierfür zusätzlich bereit zu stellen. Dass dies geschieht, ist wohl nicht zu erwarten. Es wäre jedoch ein Fehlschluss, entsprechende Aktivitäten dann besser einzustellen oder gar nicht erst zu starten.
Ein Vorankommen ist durchaus möglich, wenn in einem Team die entsprechenden Kompetenzen vorhanden sind. Das ist keine Frage des Alters, sondern der Haltung, sich auch auf Neues einzulassen. Eigentlich bringen Studienleiterinnen und Studienleiter bereits vieles mit, was als Handwerkzeug gebraucht wird: Neugier, wie sich die Gesellschaft entwickelt; die Einbindung in ein Experten-Netzwerk; sprachliche Kompetenz. – Journalistisches Interesse, gar Knowhow wäre hilfreich und eine gewisse Fingerfertigkeit im Umgang mit der Technik.
Neue Möglichkeiten zeigen, was machbar ist. Und was machbar ist, verlangt auch nach der Übersetzung in den jeweiligen Arbeitszusammenhang. Es ist nötig, eine Tagung als Prozessgeschehen zu begreifen, das aus mehreren Schritten besteht, die miteinander verknüpft sind. So sind Studienleiter auch für die Gewinnung von Tagungsteilnehmern mit verantwortlich – für die Erschließung ihrer jeweiligen Zielgruppen. Dieser ganzheitliche Ansatz, so könnte man sagen, legt die Messlatte hoch. Wie im Journalismus, so ist auch hier die Arbeitsverdichtung spürbar. Verweigerung kann keine Haltung sein, sondern mindestens die exemplarische Gestaltung.
Die Evangelische Akademie Tutzing ist eine Marke, die über Bayern hinaus eine bundesweite Ausstrahlung hat. Diese ist eine solide Basis für alle multimedialen Aktivitäten. Die Doppelpräsenz – in der realen und in der virtuellen Welt – ist dem Auftrag geschuldet, aus christlicher Perspektive Meinungsbildung möglich zu machen bei Themen, die alle angehen. Es braucht Kolleginnen und Kollegen im Team, die sich diesem Auftrag stellen.
veröffentlicht in: Roland Pelikan, Johannes Rehm (Hg.), Arbeit im Alltag 4.0. – Wie Digitalisierung ethisch zu lernen ist. Beiträge aus betrieblicher, arbeitsmarktpolitischer und theologischer Sicht, Münster 2018
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