Himmel & Erde

Über den Spielfeldrand schauen – Gedanken zur Fußball-Weltmeisterschaft

Am 12. Juni ist es endlich soweit: die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien beginnt! Schon jetzt zeichnet sich ab: Für vier Wochen wird sie zum Mittelpunkt im Leben ungezählter Menschen rund um den Globus. Sich begeistern zu lassen von den Weltstars, von den taktischen Finessen, kunstvollen Ballstafetten und hoffentlich vielen Toren – die Vorfreude ist kaum zu bändigen. Sport verbindet – Junge und Alte, Männer und Frauen, schlägt Brücken über Völker und Weltanschauungen hinweg. Er hat integrierende Funktion und lehrt Werte wie Freundschaft, Solidarität und Fairness.

Aber es gibt auch die Schattenseite. So soll es beispielsweise bei der Vergabe der WM an Katar im Jahr 2022 nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Von Korruption ist die Rede – nicht zum ersten Mal im Zusammenhang mit so einem sportlichen Großereignis. Und von menschenunwürdigen, sklavenähnlichen Bedingungen ist die Rede, unter denen diejenigen arbeiten müssen, die die Fußballstadien bauen, wie in Brasilien und in Katar. Schattenseiten haben auch andere sportliche Großereignisse, etwa die Olympischen Winterspiele mit ihren gigantischen Naturzerstörungen –  jedenfalls in jenen Ländern, in denen die Strukturen zur Beteiligung der betroffenen Bevölkerung eher unterentwickelt sind, so dass niemand den Veranstaltern Einhalt gebietet. Die Liste der Schattenseiten ließe sich beliebig verlängern – etwa um Doping und Wettmanipulationen und Zwangsprostitution.

Sport – das ist nicht nur Freude am Spiel, sondern auch knallhartes Geschäft. Big Business im wahrsten Sinne des Wortes. Nachdenklich stimmen muss, wenn einmal mehr – wie jetzt in Brasilien – die Milliarden-Mittel aus dem Staatshaushalt kommen müssen, um diesen Spaß zu garantieren. Die Bevölkerungsmehrheit wird davon nicht profitieren. Dabei bräuchte das aufstrebende Land wohl noch dringender Investitionen in Bildung, in den Bau von Kindergärten und Schulen. Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff  erwartet, dass die WM ein „dauerhaftes Erbe“ hinterlassen wird. Diese Hoffnung ist freilich schon in ganz anderen Ländern wie eine Seifenblase zerplatzt. So bleibt etwa in Südafrika die Nachnutzung der Stadien deutlich hinter den Erwartungen zurück.

Noch überstrahlt der Glamour der WM das, was wir auf individueller Ebene im Blick auf unser Konsumverhalten längst kritisch hinterfragen – und zwar unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit. Die Frage, ob Spargel und Erdbeeren ganzjährig verfügbar sein müssen, lautet im Blick auf die kommende Fußball-Weltmeisterschaft: Dürfen wir einfach so diese WM-Industrie in ein Land wie Brasilien tragen, ohne zu fragen, was das mit Land und Leuten macht? Auch auf die Gefahr hin, dass am Ende nur einige wenige profitieren – zu Lasten und auf Kosten vieler.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich stelle diese Fragen als Fußball-Begeisterter. Zum Genuss muss aber der Realitätssinn kommen, das Bewusstsein für die Nebenwirkungen. Geschieht dies nicht, werden wir ebendiese Nebenwirkungen eher früher als später zu spüren bekommen. Schließlich sind viele Ressourcen begrenzt, manche sind endlich. Und überhaupt: Für viele Menschen ist und bleibt der Besuch eines sportlichen Spektakels unerreichbarer Luxus. Für die Mehrzahl der fußballbegeisterten Brasilianer sind die teuren Eintrittskarten gänzlich unerschwinglich.

Was also tun? Als Einzelner, so werden manche denken, kann man doch sowieso nichts ausrichten. Ich bin kein Pessimist. Manchmal muss man sich dem Konsum verweigern. Die Nachfrage entscheidet sehr wohl über Qualität und Umfang des Angebots.  Manchmal muss der politische Druck spürbar erhöht werden. Wenn die FIFA unter dem Druck der Öffentlichkeit für mehr Transparenz sorgt, darf das als Erfolg gelten. Und dieses Versprechen muss sie auch einlösen. Manchmal reicht es auch schon, nachdenklich zu werden. Und bei der Fußball-WM in Brasilien nicht nur auf das Spiel, sondern auch auf die Menschen am sprichwörtlichen Spielfeldrand zu schauen – in Brasilien und bei uns.

Wer den Beitrag lieber hören möchte, findet ihn hier. Gesendet wird er in der Reihe “Zum Sonntag” am 7. Juni 2014, 17.55 Uhr auf BR2. Danach ist er in der Mediathek (s. Link) abrufbar.

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