Himmel & Erde

Mit dem Kirchenasyl stellen sich die Kirchen über den Rechtsstaat – Einspruch!

Nein, ein Recht auf Kirchenasyl gibt es nicht. Dennoch wird es in Deutschland gewährt – als ein Akt des zivilen Ungehorsams, so könnte man es beschreiben. Rund 450 Flüchtlinge befinden sich derzeit in Deutschland in 293 Kirchenasylen, die evangelische, katholische und freikirchliche Gemeinden bzw. Klöster gewähren. Gut 250 Personen sind so genannte Dublin-Fälle. Dabei handelt es sich um Flüchtlinge, die in das EU-Land abgeschoben werden würden, in dem sie ankamen. Die Bedingungen etwa in Bulgarien oder Ungarn werden als unmenschlich eingestuft, nicht zuletzt, weil Asylsuchenden dort Gefängnis droht.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte im Frühjahr die Kirchen scharf kritisiert. Sein Hinweis, sie setzten sich über geltendes Recht hinweg und begingen Rechtsbruch, ist formal richtig. Die Debatte erinnert an die Situation Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts, als der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther, sich ähnlich äußerte. Die Zahl der Kirchenasyle war damals niedriger als heute. Bei knapp 180.000 Asylsuchenden im ersten Halbjahr fallen 450 Kirchenasyle kaum ins Gewicht.

Die Kirchen nehmen für sich in Anspruch, mit Hilfe des Kirchenasyls vor Ort humanitäre Lösungen zu in konkreten Härtefällen zu finden. Von „christlicher Beistandspflicht“ ist die Rede – aus christlich-humanitärer Tradition. Heinrich Bedford-Strohm, bayerischer Landesbischof und Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), nennt die hier Engagierten „Vorbilder für die Exzellenzinitiative der Humanität, die wir brauchen“.

Politik und Behörden halten sich augenblicklich mit Äußerungen bzw. Aktionen gegenüber den Kirchenasylen zurück. Mit den Kirchen ist verabredet, im Herbst eine Zwischenbilanz zu ziehen. An mahnenden Stimmen fehlt es gleichwohl nicht. So hat Bundestagspräsident Norbert Lammert die Kirchen davor gewarnt, „aus einem Ausnahmetatbestand eine heimliche Regel zu machen“. Und Bundesjustizminister Heiko Maas unterstrich, dass klar sein müsse, dass das Rechtsmonopol beim Staat und nicht bei den Kirchen liege.

Die Kirchen tun gut daran, auch in Zukunft das Kirchenasyl verantwortlich wahrzunehmen. Es gibt aktuell auch überhaupt keinen Grund, dass es nicht so wäre. 1994 nahm der Rat der EKD Stellung unter dem Leitmotiv: „Beistand ist nötig, nicht Widerstand“. Und der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD, Michael Heinig, formulierte unlängst: „Die Kirche ist hier nicht der weiße Ritter und der Staat der böse Bube“. Kirchenasyl sei „mehr ziviler Ungehorsam als Dienst am Recht“.

Um zu verstehen, warum sich etwa die evangelische Kirche hier so positioniert, muss man einen Blick in die EKD-Denkschrift „Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie“ aus dem Jahre 1985, in der erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg unsere Staatsform eingehend gewürdigt wurde. Demnach hat die Kirche gegenüber dem Staat und anderen Institutionen die Aufgabe, in Grundfragen des Gemeinwesens ihre Stimme zu erheben, Orientierung zu geben und den politischen Prozess kritisch zu begleiten. Sie ermutigt darin, dass Bürgerinnen und Bürger den Auftrag des Staates zu ihrer eigenen Angelegenheit machen. Davon profitiert unsere Demokratie!

In mehr als drei Viertel aller Fälle wird am Ende die Duldung oder Anerkennung der Flüchtlinge erreicht. Dieser Umstand rechtfertigt den Einsatz für die Betroffenen. Was ist die Ursache dieses Erfolgs? Sie ist darin zu sehen, dass die Kirchen durch ihre internationalen und ökumenischen Beziehungen über Kontakte vor Ort und partiell über eine profundere Kenntnis der Situation verfügen, als staatliche Behörden. Unser Staat wäre gut beraten, wenn er sich diese Expertise noch mehr zunutze machen würde.

 

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