Himmel & Erde

Das Helfen und die Macht

Die meisten Menschen wünschen sich Macht und fürchten sie auch; sehr häufig sind ihnen nicht beide Seiten dieser Ambivalenz bewusst. In komplexen Situationen hilft die naive Auffassung nicht weiter, dass Macht sozusagen ein neutrales Instrument ist, ein Werkzeug; wichtig sei nur, zu welchen Zielen sie diene. Werkzeuge jedoch formen den Geist und den Körper dessen, der mit ihnen hantiert. Die Macht tut das vielleicht am meisten.

Macht ermöglicht Kontrolle und verspricht so Sicherheit. Aber sie ist auch gefährlich, da sie sichtbar macht, Neid weckt, einen Rivalen herausfordert, zu erproben, ob er nicht stärker ist und sie rauben kann. Daher begehren viele Menschen die unangefochtene und unsichtbare Macht, die darin liegt, anderen zu helfen. Auch in den Techniken der psychologischen Beratung und Unterstützung können mehr oder weniger subtil eingesetzte Machtmittel gesehen werden, von denen sich ein Partner Macht über den anderen verspricht.

Daher ist auch eine dauernde Sorgfalt und genaue Beobachtung notwendig, um die in Unterstützung und vermeintlichen Förderung eines Gegenübers einfließende Machtausübung zu prüfen. Der ohnmächtige Helfer ist nutzlos, der eigensüchtige gefährlich, der aufopfernde instabil. Brauchbare psychosoziale Hilfe, ob in Pädagogik, Therapie oder Coaching ist nur dort möglich, wo sich Stärke und Überlegung verbinden.

Das typische Modell eines untauglichen, für beide Seiten schädlichen Helfens ist die aufopfernde Unterstützung einer Unersättlichkeit. Die Großmutter gibt dem Enkel Geld, mit dem er seine Drogenabhängigkeit finanziert; die Coalkoholikerin arbeitet für zwei, um die Folgen des Alkoholismus ihres Partners zu vertuschen. Die Großmutter bringt den Enkel in die Rolle des Undankbaren, der sie am Ende bestiehlt, weil sie ihm nichts mehr geben will; der Enkel zwingt seine Großmutter in die Rolle der Versagerin, deren Hilfe trotz aller Opfer gescheitert ist. Der Trinker fühlt sich schuldig und wertlos, weil er immer wieder seine Zusagen gebrochen hat; er kann sich selbst nüchtern nicht mehr ertragen; die Coalkoholikerin empfindet sich als gescheitert, ihre Kinder als undankbar, weil sie ihr jetzt vorwerfen, sie hätte sich viel früher von dem alkoholkranken Vater trennen müssen.

Es ist ein wenig zynisch, in diesem Kontext das indianische Sprichwort zu zitieren: “Wenn du erkennst, dass du einen toten Gaul reitest, steig ab!” Dennoch ist hier auch die Verleugnung erfasst. Der Reiter ist “besser” als der Wanderer, daher muss, wer den toten Gaul reitet und nicht vorankommt, erst einmal von dem hohen Ross herunter. Es muss wahr sein dürfen, dass eigene Bemühungen scheitern. Dass Erfolg jetzt nicht darin liegt, das angestrebte Ziel zu erreichen, sondern Energie zu sparen. Es geht darum, eine sinnlose Anstrengung einzustellen und beim nächsten Versuch wenigstens besser zu scheitern.

Ein Text von: Dr. Wolfgang Schmidbauer
Psychoanalytiker, Autor, Supervisor, München
www.wolfgang-schmidbauer.de

Tags: , , , ,

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Unsere Regeln zum Kommentieren finden Sie hier.

*