Himmel & Erde

Von der Zeit

“Nomos” stand heute früh in einer Uhren-Werbung. Da weiß man aus der Zeitung, was die Uhr geschlagen hat: das Gesetz der Zeit, Sie verrinnt, rast, steht still, ist knapp, vergeht wie im Flug oder staut sich lähmend – sie verbindet vorher, jetzt, nachher …, auf Dauer, als durée, aber entscheidend quasi ist sie im Augenblick, im Moment: was mache ich, was gilt ‘jetzt’, maintenant im Französischen, ‘was man mit der Hand berühren, ziehen kann’?

Die Handlung und die Zeit, wie kommen, kamen sie zusammen? Ja, diskutierte ich am WE mit einer klugen Frau: wie wurde ich, was ich bin, wie bin ich nun, was ich wurde? War es Vorsehung, Geschick als Schicksal, gar Chicsal, oder waren es Zufälle, ohne mein Zutun, die diesen Weg eröffneten, jene anderen Optionen dafür nicht ‘an der Zeit’ waren? Oder habe ich verpennt, an bestimmten Konstellation – lat. constellare – wie die Sterne zusammen stehen – anders zu entscheiden, klüger zu wählen?

Und wenn ich nochmals die Zeit zum selber handeln hätte? Was würde ich anders machen? Vielleicht hätte ich das doch energischer probieren sollen, mit dem Fußball – und eins ist sicher: in der Woche, als Jimi Hendrix starb, da brachte mir ein Mitschüler den Blues bei – hätte ich meine Lust auf blue notes damals schon geahnt, ich hätte statt wild ‘ohne Noten’ nachzuspielen doch gleich richtig Gitarre lernen sollen und dann Jazzgitarre studiert.

Dazu ist es nun zu spät, auch für manche Liebe, die sich geschenkt hätte, die ich aber, fixiert auf eine andere, letztlich schwerer lebbare Sirene, nicht sah. Wer nicht kriegt, was er will, muss wollen, was er kriegt? “Nomos” steht auf dem Ziffernblatt einer Uhr. Was ist das Gesetz der ‘Zeit’, zu der die Uhr tickt? Lebenszeit und Weltzeit? Was kann, will, darf ich aus den 1001 Optionen pro Augenblick realisieren? Und wie? Überlasse ich das einfach dem Zufall, also was auf mich von außen zukommt, mir zustößt, kontingent, lat. contingere, und lass es mir nach innen verwirklicht werden? Oder muss ich’s von innen nach außen selber machen: als Ingenieur den Tag von Moment zu Moment planen, meine Ideen zur Aktion bringen, gar alles meinen Wünschen Widerständige beugen, niederringen bis es mir in den Kram paßt?

Goethe hat mal gemeint, wer handelt, zwingt die Vorsehung hinter sich her. Rasend, so ein Gedanke! Also net warten, trödeln, zaudern – riskieren! Gut, manches, vieles muss ich, ob’s mir paßt oder net. Und Chronos, der gefräßige Zeitler, frisst mir ohnehin die meisten Augenblicke weg … – aber wenn der Kairos kommt, der erfüllte Moment, für ein vielleicht Nochniedagewesenes, was nur heute kommt, dann nie wieder, krieg ich’s mit, habe ich Zeit dafür, bin ich frei dazu, oder muss ich’s auf nimmerwiedersoeineChance abwehren? Hauptsache, es geht wenigstens nix schief und mir passiert kein Unglück – … tja, was nun, drauflospowern oder spielerisch gelassen bleiben: alles hat seine Zeit? Wahrscheinlich hat Walter Benjamin recht: das Bild vom glücklichen Ich, das wir hegen, ist von Minute zu Minute pure Improvisation.

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